Rz. 42
Auch bilaterale Abkommen mit Drittstaaten werden vom Vorbehalt des Art. 75 Abs. 1 UAbs. 1 EuErbVO erfasst. Solche Abkommen bestehen für zahlreiche Mitgliedstaaten. Beispielsweise haben Griechenland und Italien ein Abkommen mit der Schweiz abgeschlossen, das jeweils die Geltung des Heimatrechts auf dem Gebiet des Erbrechts vorsieht. Österreich hat zahlreiche Abkommen mit den Balkanstaaten abgeschlossen. Für die Bundesrepublik Deutschland sind drei solcher Abkommen in Kraft, nämlich mit der Türkei, dem Iran und der ehemaligen Sowjetunion. In der deutschen Literatur werden teilweise Bedenken gegen die europarechtliche Zulässigkeit dieser Abkommen angemeldet, weil sie der Rechtsvereinheitlichung durch die EuErbVO zuwiderlaufen ("Achillesferse") und eine Kündigung für sinnvoll bzw. gar für europarechtlich geboten erachtet. Freilich scheidet eine Kündigung völkerrechtlich schon deswegen aus, da die erbrechtlich relevanten Regeln nur einen untergeordneten Teil der jeweiligen Abkommen bilden. Darüber hinaus ist wegen der politischen Beziehungen mit den meisten Staaten aktuell nicht an eine einvernehmliche Änderung der Konsularabkommen zu rechnen. Schließlich dürfte sich aus Art. 75 EuErbVO eine "Legalisation" der Abkommen ergeben. Es wäre kaum zu vermitteln, dass die Abkommen gegen die Verordnung verstoßen, wenn diese ausdrücklich den Abkommen den rechtlichen Vorrang erteilt. Das hat auch der Europäische Gerichtshof so gesehen und in seinem Urt. v. 12.10.2023 entschieden, dass es mit Art. 22 EuErbVO vereinbar sei, wenn ein nach Art. 75 vorrangig anwendbares bilaterales Abkommen das auf die Erbfolge anwendbare Recht bestimme und nicht vorsehe, dass der Angehörige des Drittstaates das auf die Rechtsnachfolge anwendbare Recht wählen könne. In casu ging es um die Beurkundung eines Testaments für eine in der Republik Polen lebende Staatsangehörige der Ukraine. Die polnische Notarin lehnte die Beurkundung eines Testaments mit einer Klausel, wonach für den Nachlass der ukrainischen Testatorin das ukrainische Recht gelten sollte unter Berufung darauf ab, dass Art. 22 EuErbVO durch Art. 37 des Abkommens vom 24.5.1993 zwischen der Republik Polen und der Ukraine über die Rechtshilfe und Rechtsbeziehungen in Zivil- und Strafsachen verdrängt werde, wonach Rechtsverhältnisse im Zusammenhang mit der Rechtsnachfolge von Todes wegen bei beweglichen Vermögenswerten dem Recht des Staates unterliegen, dessen Staatsangehörigkeit der Erblasser zum Zeitpunkt des Todes besaß und bei unbeweglichen Vermögenswerten dem Recht des Staates, in deren Hoheitsgebiet diese Vermögenswerte belegen sind. Der EuGH führte in seiner Begründung ausdrücklich aus, dass gem. Art. 75 EuErbVO der europäische Gesetzgeber explizit vorgesehen habe, dass die dort aufgeführten bilateralen Abkommen von der EuErbVO unberührt bleiben.
Damit haben sich die grundsätzlichen Bedenken in der Literatur gegen diese bilateralen Abkommen erledigt. Insofern konzentrieren sich die Fragen darauf, den Anwendungsbereich dieser bilateralen Abkommen zu ermitteln und Wege zu suchen, um unter Beibehaltung der Abkommen Friktionen im Verhältnis zu anderen Mitgliedstaaten zu vermeiden.