Rz. 236

Anzurechnen ist die halbe Geschäftsgebühr, höchstens jedoch ein Gebührensatz von 0,75. Die Auslagenpauschale ist nicht anzurechnen, da es hierfür an einer gesetzlichen Grundlage fehlt.[165] Die Pauschale ist auch nicht etwa nach den Gebühren zu berechnen, die nach erfolgter Anrechnung verbleiben,[166] da es sich lediglich um eine Berechnungsgröße handelt.[167] Insofern sind zunächst sämtliche Gebühren nebst den jeweiligen Auslagenpauschalen zu berechnen. Erst dann ist die Anrechnung von den so ermittelten Beträgen vorzunehmen.

 

Rz. 237

Die Anrechnung nach Vorb. 3 Abs. 4 VV RVG bezieht sich nach dem eindeutigen Wortlaut auf "eine Geschäftsgebühr nach Teil 2". Aus diesem Grund findet eine Anrechnung nicht statt, wenn für die außergerichtliche Tätigkeit des Anwalts keine solche Geschäftsgebühr nach Teil 2 des Vergütungsverzeichnisses zum RVG entstanden ist, sondern ein Pauschal- oder Stundenhonorar vereinbart wurde.[168]

[165] AG Hamburg AnwBl 1993, 293; AG Alzey AnwBl 1982, 399; Enders, JurBüro 2004, 173; Hartung/Römermann/Schons (Schons), RVG, VV Vorb. 3 Rn 79.
[166] So aber: KG JurBüro 2000, 583; LG Berlin JurBüro 1987, 1869; Hansens, JurBüro 1987, 1744; von Eicken, AGS 1996, 109.
[167] OLG Köln AGS 1994, 65; LG Essen JurBüro 2002, 246; Enders, JurBüro 2004, 173; N. Schneider, AGS 2003, 94, 96; Hergenröder, AGS 2005, 274; Schönemann, RVG prof. 2004, 127.
[168] BGH AGS 2009, 523; KG RVGreport 2009, 101; OLG Frankfurt AGS 2009, 157; OLG Bremen AGS 2009, 215; OLG Stuttgart AGS 2009, 214; differenzierend N. Schneider (AGS 2009, 213) für den Fall, dass die Parteien eine Vergütungsvereinbarung lediglich über die Höhe des Gegenstandswertes oder über die Höhe des abzurechnenden Gebührensatzes treffen.

aa) Anwendung der Anrechnungsgrenze

 

Rz. 238

Die Anrechnungsgrenze von 0,75 wird immer dann relevant, wenn der Rechtsanwalt einen Gebührensatz von mehr als 1,5 berechnet, ansonsten ist die Hälfte der Geschäftsgebühr ohnehin niedriger.

 

Rz. 239

 

Beispiel

Anwalt A macht unfallbedingten Schaden in Höhe von 4.500 EUR geltend. Alle Umstände des Falles sind durchschnittlich. Da keine Zahlung erfolgt, wird er mit der Klageerhebung beauftragt.

A erhält aus einem Wert von 4.500 EUR:

 
I. Außergerichtliche Tätigkeit    
1. 1,3-Geschäftsgebühr, VV 2300   434,20 EUR
2. Auslagenpauschale, VV 7002   20,00 EUR
Zwischensumme 454,20 EUR  
3. Umsatzsteuer, VV 7008   86,30 EUR
Gesamt   540,50 EUR
II. Gerichtliche Tätigkeit    
1. 1,3-Verfahrensgebühr, VV 3100   434,20 EUR
2. 1,2-Terminsgebühr, VV 3104   400,80 EUR
3. Auslagenpauschale, VV 7002   20,00 EUR
./. hälftige Geschäftsgebühr   – 217,10 EUR
Zwischensumme 637,90 EUR  
4. Umsatzsteuer, VV 7008   121,20 EUR
Gesamt   759,10 EUR
 

Rz. 240

Dagegen greift die Anrechnungsgrenze ein, wenn die hälftige Geschäftsgebühr höher ist als 0,75, weil der Rechtsanwalt einen Gebührensatz von mehr als 1,5 für angemessen hält.

 

Rz. 241

 

Beispiel

Anwalt A wird mit der Abwehr einer Forderung in Höhe von 6.800 EUR beauftragt. Da die Rechtslage sehr kompliziert ist und umfangreicher Schriftverkehr sowie zahlreiche Besprechungen erforderlich sind, bestimmt er als angemessene Geschäftsgebühr einen Gebührensatz von 2,0. Danach macht die Gegenseite die Forderung ­gerichtlich geltend. A wird mit der Prozessvertretung beauftragt.

Folgende Gebühren sind aus einem Wert von 6.800 EUR entstanden:

 
I. Außergerichtliche Tätigkeit    
1. 2,0-Geschäftsgebühr, VV 2300   892,00 EUR
2. Auslagenpauschale, VV 7002   20,00 EUR
Zwischensumme 912,00 EUR  
3. Umsatzsteuer, VV 7008   173,28 EUR
Gesamt   1.085,28 EUR
II. Gerichtliche Tätigkeit    
1. 1,3-Verfahrensgebühr, VV 3100   579,80 EUR
2. 1,2-Terminsgebühr, VV 3104   535,20 EUR
3. Auslagenpauschale, VV 7002   20,00 EUR
./. 0,75-Geschäftsgebühr   – 334,50 EUR
Zwischensumme 800,50 EUR  
4. Umsatzsteuer, VV 7008   152,10 EUR
Gesamt   952,60 EUR

bb) Gerichtlicher Gegenstandswert geringer

 

Rz. 242

Nach Vorb. 3 Abs. 4 S. 5 VV RVG erfolgt die Anrechnung nach dem Wert desjenigen Gegenstandes, der in das gerichtliche Verfahren übergegangen ist. Bei Teilregulierung eines Unfallschadens vor Klageerhebung muss daher berücksichtigt werden, dass die Angelegenheit nur mit einem geringeren Wert in das gerichtliche Verfahren übergeht.

 

Rz. 243

 

Beispiel

Anwalt A wird mit der außergerichtlichen Geltendmachung einer Schadensersatzforderung von 8.000 EUR beauftragt. Der gegnerische Versicherer zahlt lediglich 5.000 EUR. Nunmehr erhebt A Klage über den Restbetrag.

A erhält für die außergerichtliche Tätigkeit aus einem Wert von 8.000 EUR:

 
1. 1,3-Geschäftsgebühr, VV 2300   652,60 EUR
2. Auslagenpauschale, VV 7002   20,00 EUR
Zwischensumme 672,60 EUR  
3. Umsatzsteuer, VV 7008   127,79 EUR
Gesamt   800,39 EUR

Die Angelegenheit ist lediglich mit einem Gegenstandswert von 3.000 EUR in das gerichtliche Verfahren übergegangen. Für das gerichtliche Verfahren erhält A somit aus einem Wert von 3.000 EUR:

 
1. 1,3-Verfahrensgebühr, VV 3100   288,60 EUR
2. 1,2-Terminsgebühr, VV 3104   266,40 EUR
3. Auslagenpauschale, VV 7002   20,00 EUR
./. hälftige Geschäftsgebühr aus 3.000 EUR – 144,30 EUR
Zwischensumm...

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