Rz. 112
Die Verdachtskündigung ist ein besonderes Institut des Arbeitsrechts. Ihr liegt nicht eine bereits erwiesene strafbare Handlung oder erhebliche Vertragsverletzung des Arbeitnehmers zugrunde, sondern der bloße Verdacht, dass der Arbeitnehmer eine strafbare Handlung oder schwerwiegende Pflichtverletzung begangen haben könnte. Das notwendige Vertrauen des Arbeitgebers in die Redlichkeit des Arbeitnehmers und damit auch der Vertrauenstatbestand für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses können auch durch einen konkretisierten Verdacht zerstört sein.
Rz. 113
Gerade wegen des Umstandes, dass eine Straftat oder erhebliche Pflichtverletzung nicht erwiesen ist, ist bei der Verdachtskündigung Vorsicht geboten. Der Verdacht muss objektiv durch bestimmte Tatsachen begründet sein, es muss also eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass der zur Kündigung anstehende Arbeitnehmer die Straftat oder erhebliche Pflichtverletzung begangen hat. Der Arbeitgeber muss vor Ausspruch der Verdachtskündigung alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen haben. Der sodann ermittelte Verdacht darf sich nicht in einer bloßen Wertung erschöpfen, vielmehr muss eine Konkretisierung erfolgen, die es dem betroffenen Arbeitnehmer ermöglicht, sich hierzu substantiiert zu äußern. Aus diesem Grund ist der Arbeitgeber auch verpflichtet, den Arbeitnehmer zur Aufklärung anzuhören. Diese Anhörung ist Wirksamkeitsvoraussetzung der Kündigung.
Rz. 114
Checkliste: Verdachtskündigung
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Feststellung eines Verdachts von erheblichem Gewicht, der das Vertrauensverhältnis unheilbar zerstört |
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Feststellung objektiv nachweisbarer Tatsachen, die den Verdacht gerade gegen den bestimmten Arbeitnehmer begründen |
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Aufklärungsbemühen des Arbeitgebers ohne Entkräftung der Verdachtsmomente, auch nach Anhörung des betroffenen Arbeitnehmers |
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Interessenabwägung |
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Entscheidung zur ordentlichen und/oder fristlosen Kündigung |
Rz. 115
Liegen begründete Verdachtsmomente vor, darf der Arbeitgeber diese Verdachtsmomente zum Anlass nehmen, mit dem Arbeitnehmer eine Aufhebungsvereinbarung unter Hinweis auf die sonst folgende fristlose Verdachtskündigung abzuschließen. Das Arbeitsgericht Hannover hat dies für den Fall des Datenmissbrauchs bei Dateien pornografischen Inhalts bestätigt und die Anfechtung einer entsprechenden Aufhebungsvereinbarung abgelehnt. Das Arbeitsgericht Düsseldorf hat die außerordentliche Verdachtskündigung für den Fall des schwerwiegenden Verdachts einer exzessiven privaten Internetnutzung in einem längeren Zeitraum bejaht. Das LAG Thüringen hat die Anfechtung einer Aufhebungsvereinbarung durch den Arbeitnehmer aufgrund widerrechtlicher Drohung in einem Fall zurückgewiesen, in welchem der Arbeitnehmer regelmäßig bis zu 30 Minuten wöchentlich das Internet zu privaten Zwecken genutzt und die Betriebsmittel des Arbeitgebers dazu verwendet hat, über 40 pornografische Seiten aufzusuchen und 89 pornografische Farbausdrucke zu fertigen. Zur Vermeidung einer fristlosen Kündigung bot der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer, der als Führungskraft tätig war, einen Aufhebungsvertrag an. Das LAG Berlin-Brandenburg stellte im Fall einer privaten Internetnutzung entgegen eines ausdrücklichen Verbotes fest, dass es sich bei der Drohung mit einer außerordentlichen Kündigung nicht um eine widerrechtliche Drohung gehandelt habe. Im Fall einer Drohung mit einer außerordentlichen Kündigung bei bereits durch eine ordentliche Kündigung verbrauchten Sachverhalt stellte das LAG Rheinland-Pfalz die Anfechtbarkeit einer Aufhebungsvereinbarung fest.