Rz. 143
Die Auswertung der Rechtsprechung hat gezeigt, dass es regelmäßig des vorherigen Ausspruchs einer Abmahnung bedarf und nur in den vom BAG benannten Ausnahmefällen unmittelbar eine außerordentliche bzw. ordentliche Kündigung ausgesprochen werden kann. Den zahlreichen Urteilen lassen sich immer wiederkehrende Fehler auf Arbeitgeberseite, insbesondere nachlässiges Kontrollverhalten und unklare betriebliche Regelungen, entnehmen. Umgekehrt machen die Urteile deutlich, welche Verteidigungsstrategie für Arbeitnehmer sinnvoll ist, um eine Kündigung zu Fall zu bringen. Die Analyse der Rechtsprechung führt zu den nachfolgenden Praxishinweisen und Handlungshilfen.
1. Verlust der Warnfunktion bei mehreren Abmahnungen
Rz. 144
Die Warnfunktion einer Abmahnung kann erheblich dadurch abgeschwächt werden, dass der Arbeitgeber bei ständig neuen Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers stets nur mit einer Kündigung droht, ohne jemals arbeitsrechtliche Konsequenzen folgen zu lassen. Die Einzelheiten wurden bereits oben ausführlich erläutert (vgl. Rdn 84 ff.). Es ist deshalb dringend zu empfehlen, bei wiederholten Abmahnungen genau auf die inhaltliche Formulierung zu achten. Bei wiederholten Pflichtverletzungen darf nicht aus falsch verstandener Zurückhaltung ständig neu abgemahnt werden. Die Rechtsprechung sieht in einem solchen Verhalten eine Abschwächung der Warnfunktion bis hin zum Verlust des Kündigungsrechts. Bei wiederholten Pflichtverletzungen und Abmahnungen sollte deshalb der Arbeitgeber das Ende der bisher gezeigten Nachsicht auch deutlich machen. Dies kann bspw. durch ein unter Zeugen geführtes eindringliches Abmahnungsgespräch dokumentiert werden, zum anderen können auch schriftliche Abmahnungen unter eindeutiger Benennung der bisherigen Abmahnungen ("Durchnummerierung") und mit eindringlich hervorgehobenem Text als "letztmalige Abmahnung" bezeichnet und ausgehändigt werden. Durch ein solches Verhalten wird dem Arbeitnehmer deutlich, dass er mit weiterer Nachsicht nicht mehr zu rechnen hat.
2. Beweissicherung
Rz. 145
Die Behauptung des Arbeitgebers, der Arbeitnehmer habe unerlaubt oder exzessiv das Internet genutzt, privat E-Mails versandt, auf unerlaubten Seiten gesurft oder umfangreiche Dateien heruntergeladen, ist als Kündigungsgrund nur dann geeignet, wenn diese Vorwürfe durch den Arbeitgeber im Prozess auch tatsächlich nachgewiesen werden können. Die Beweissicherung hat dabei so zu erfolgen, dass die Daten langfristig zur Verfügung stehen und selbst ein nachträglicher Löschungsvorgang des betroffenen Arbeitnehmers sich nicht mehr nachteilig auf die Beweislage auswirken kann. Das Fehlverhalten des Arbeitnehmers sollte deshalb auf externen Speichermedien gesichert werden, um das dokumentierte Internetverhalten festzuhalten. Dabei können geschulte Systemtechniker auch gelöschte Dateien regelmäßig wiederherstellen und sichtbar machen. In schwerwiegenden Fällen ist deshalb zu empfehlen, den zuständigen Administrator oder aber eine externe Fachkraft hinzuziehen, die eine dauerhafte Sicherung veranlassen und durchführen kann (zur möglichen Erstattung dieser Zusatzkosten siehe Rdn 142). Die datenschutzrechtlichen Grundsätze müssen dabei beachtet werden.
Rz. 146
Dieses Vorgehen, das mit nicht unerheblichen Zusatzkosten und Zusatzaufwand verbunden sein kann, sollte nur in solchen Fällen in Betracht gezogen werden, in denen auch die strengen Voraussetzungen einer fristlosen Kündigung gegeben sind (siehe Rdn 117 ff.).
3. Risiko betriebliche Übung
Rz. 147
Die Nutzung der betrieblichen Kommunikationseinrichtungen zu privaten Zwecken kann ausdrücklich erlaubt oder ausdrücklich verboten werden. Gerade die geduldete private Nutzung ist für den Arbeitgeber gefährlich, denn sie kann zu einer betrieblichen Übung führen, mit der weiteren Folge, dass über diese betriebliche Übung ein individualrechtlicher Anspruch des Arbeitnehmers entsteht (vgl. Rdn 11 ff.). Die betriebliche Übung kann nicht mehr einseitig aufgehoben werden. Das Entstehen einer betrieblichen Übung sollte daher auf jeden Fall vermieden werden. Am sichersten ist es dabei, wenn der Arbeitgeber freiwillige Leistungen, dazu gehört auch die private Nutzung betrieblicher Kommunikationseinrichtungen, stets mit einem besonderen Vorbehalt versieht. Auf keinen Fall sollte die Frage der privaten und/oder dienstlichen Nutzung ungeregelt bleiben.
4. Widerrufsvorbehalte und Freiwilligkeitsklauseln
Rz. 148
Für den Arbeitgeber besteht die Möglichkeit, die freiwillige private Nutzung mit einem Widerrufsvorbehalt oder aber mit einer Freiwilligkeitsklausel zu versehen. Beide Klauseln unterscheiden sich grundlegend voneinander: Wird ein Widerrufsvorbehalt vereinbart, wird eine Leistung zunächst unbefristet zugesagt. Der Arbeitgeber erhält aber die Möglichkeit, durch Ausübung des Widerrufsrechts die Weitergewährung der Leistung zu beenden. Demgegenüber dient ein Freiwilligkeitsvorbehalt dazu, die Entstehung eines Anspruchs von vornherein zu verhindern. Freiwilligkeitsvorbehalte werden regelmäßig bei Gratifikationen vereinbart, um auch dort das Entstehen einer betrieblichen Übung von vornherein zu verhindern. Beide Klauseln müssen a...