Prof. Dr. Jutta Müller-Lukoschek
Rz. 26
In der EU wurde frühzeitig erkannt, dass einheitliche Regelungen die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung vereinfachen würden. So vereinbarten die damals 6 EWG-Staaten das Übereinkommen der Europäischen Gemeinschaft über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen Zivil- und Handelssachen vom 27.9.1968 (gängige Abkürzung EuGVÜ); dieses Übereinkommen war ein völkerrechtlicher Vertrag, der aus Anlass des Beitritts weiterer Staaten zur EU (damals EG) jeweils überarbeitet und neugefasst werden musste.
1. Der Vertrag von Amsterdam
Rz. 27
Mit Inkrafttreten (am 1.5.1999) des Amsterdamer Vertrages vom 2.10.1997 wurde die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen in die unmittelbare Zuständigkeit der EG überführt.
a) Leitgedanke und Ziel des Vertrages
Rz. 28
Leitgedanke des Amsterdamer Vertrages war der schrittweise Aufbau eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (Art. 61). Ziel der Vergemeinschaftung war es, allen Bürgern in der Union einen erleichterten Zugang zu den Gerichten der anderen Mitgliedstaaten und einen verbesserten Rechtsschutz zu gewährleisten.
b) Gesetzgebungskompetenz
Rz. 29
Durch den Vertrag von Amsterdam wurde die Gesetzgebungskompetenz in Fragen der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen direkt und unmittelbar auf die Gemeinschaftsorgane übertragen: Art. 65 des Amsterdamer Vertrages ermächtigte den Rat der EU zu Maßnahmen, die für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes erforderlich sind und der Verbesserung und Vereinfachung der Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher und außergerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen dienen. Seither ist im Internationalen Zivilprozessrecht kein Stein mehr auf dem anderen geblieben.
2. Der Vertrag von Lissabon
Rz. 30
Mit dem Vertrag von Lissabon wurde der Vertrag von Amsterdam über die europäische Union (EU Vertrag, EUV) und der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG Vertrag) reformiert; letzterer erhielt den neuen Namen "Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union" (AEU-Vertrag, AEUV). Mit dem Inkrafttreten des Lissabonner Vertrages am 1.12.2009 finden sich die Leitgedanken der justiziellen Zusammenarbeit nunmehr in Art. 67 AEUV. An die Stelle von Art. 65 des Amsterdamer Vertrages ist inzwischen Art. 81 AEUV getreten, nach dem der Union noch weiter gehende Kompetenzen im Hinblick auf die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen eingeräumt wurden.
Rz. 31
Art 81 AEUV lautet:
(1) |
Die Union entwickelt eine justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen mit grenzüberschreitendem Bezug, die auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher und außergerichtlicher Entscheidungen beruht. Diese Zusammenarbeit kann den Erlass von Maßnahmen zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten umfassen. |
(2) |
Für die Zwecke des Absatzes 1 erlassen das europäische Parlament und der Rat, insbesondere wenn dies für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes erforderlich ist, gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Maßnahmen, die Folgendes sicherstellen sollen:
a) |
die gegenseitige Anerkennung und die Vollstreckung gerichtlicher und außergerichtlicher Entscheidungen zwischen den Mitgliedstaaten; |
b) |
die grenzüberschreitende Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke; |
c) |
die Vereinbarkeit der in den Mitgliedstaaten geltenden Kollisionsnormen und Vorschriften zur Vermeidung von Kompetenzkonflikten; |
d) |
die Zusammenarbeit bei der Erhebung von Beweismitteln; |
e) |
einen effektiven Zugang zum Recht; |
f) |
die Beseitigung von Hindernissen für die reibungslose Abwicklung von Zivilverfahren, erforderlichenfalls durch Förderung der Vereinbarkeit der in den Mitgliedstaaten geltenden zivilrechtlichen Verfahrensvorschriften; |
g) |
die Entwicklung von alternativen Methoden für die Beilegung von Streitigkeiten; |
h) |
die Förderung der Weiterbildung von Richtern und Justizbediensteten |
|
(3) |
Abweichend von Abs. 2 werden Maßnahmen zum Familienrecht mit grenzüberschreitendem Bezug vom Rat gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren festgelegt. Dieser beschließt einstimmig nach Anhörung des Europäischen Parlaments. |
Der Rat kann auf Vorschlag der Kommission einen Beschluss erlassen, durch den die Aspekte des Familienrechts mit grenzüberschreitendem Bezug bestimmt werden, die Gegenstand von Rechtsakten sein können, die gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren erlassen werden. Der Rat beschließt einstimmig nach Anhörung des Europäischen Parlaments.
Der in Unterabsatz 2 genannte Vorschlag wird den nationalen Parlamenten übe...