Bernd Kuckenburg, Renate Perleberg-Kölbel
Rz. 105
Wie wird das Unterhaltseinkommen aus Steuerunterlagen, Bilanz, G & V und EÜR ermittelt?
Wenn das unterhaltsrechtlich relevante Einkommen mit dem steuerrechtlich relevanten Einkommen nicht identisch ist, aber korreliert, so wird das Unterhaltseinkommen aus dem steuerrechtlichen Einkommen abgeleitet. Nach Feststellung des steuerrechtlich relevanten Einkommens erfolgen unterhaltsrechtliche Korrekturen.
Der Bearbeiter des familienrechtlichen Falls benötigt deshalb sowohl Kenntnisse des Steuerrechts und auch des Bilanzsteuerrechts, weil das unterhaltsrechtlich relevante Einkommen auf dem steuerrechtlichen fußt.
Steuern sind kraft Legaldefinition (§ 3 AO) Geldleistungen ohne Gegenleistung zur Erzielung von Einnahmen eines öffentlich-rechtlichen Gemeinwesens. Steuern haben also Abschöpfungscharakter (Sprichwort: Was Tüchtigkeit gewinnt, im Steuersack zerrinnt!). Es gilt vor allem der Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung nach § 85 AO, das Amtsermittlungsprinzip, sog. Untersuchungsgrundsatz, nach § 88 AO und demgegenüber bestehen Mitwirkungspflichten der Beteiligten nach § 90 AO.
Warum benötigen Familienrechtler bei der Ermittlung des Unterhaltseinkommens Kenntnisse vom Steuer-, Handels-, Gesellschafts- und Bilanzrecht?
Der anwaltliche Berater muss sich besonders bei der Ermittlung des Unterhaltseinkommens mit zahlreichen, steuerrechtlich ermittelten Materialien und Unterlagen befassen.
Er muss steuerrechtliche Unterlagen nach unterhaltsrechtlichen Aspekten analysieren und im Rahmen der familienrechtlichen Auseinandersetzung erläutern.
Besonders vor Gericht wird oft mit heftiger Intensität über Positionen der Jahresabschlüsse von Unternehmen gestritten.
Bei der Ermittlung der Unterhaltseinkünfte wird in der Literatur kritisch hinterfragt, ob bei Einzelunternehmen und Personengesellschaften schon wegen der dem Unternehmen obliegenden Liquiditätsverpflichtungen von einer Vollausschüttung der Gewinne auszugehen ist.
Betriebswirtschaftlich zeigt der Gewinn nämlich nicht nur den kalkulatorischen Unternehmerlohn, sondern ist auch Entgelt für die Verzinsung des eingesetzten Eigenkapitals und Ausgleich des unternehmerischen Risikos.
Auch bei Nichtselbstständigen, die oft noch weitere Überschusseinkünfte, wie z.B. aus Vermietung und Verpachtung oder Kapitalvermögen haben, ergeben sich u.a. Fragen zur Bewertung, Abgrenzung zur Privatveranlassung und zu Abschreibungen.
Ferner ist die Angemessenheit von Bezügen (gilt auch im Steuerrecht gemäß § 4 Abs. 5 Nr. 7 EStG) bei Gesellschaftern/Geschäftsführern, Manipulationen und "Schwarzgeld" zu prüfen bzw. aufzudecken.
Ohne steuer- und betriebswirtschaftliche Kenntnisse sind die Aufgabenstellungen in der familienrechtlichen Praxis nicht zu lösen und der Bearbeiter setzt sich darüber hinaus auch noch einer potenziellen Haftung aus.
Da hilft es auch nicht, den Steuerberater zu fragen, weil diesem die unterhaltsrechtlichen Differenzierungen fremd sind.
Ihm fehlen die grundsätzlichen unterhaltsrechtlichen Kenntnisse und Differenzierungen zur interdisziplinären Diskussion.
Neben der Ermittlung des Unterhaltseinkommens sind auch weitere familienrechtliche Probleme wie zur steuerlichen Veranlagung, Abzugsfähigkeit von Unterhaltsleistungen und Aufteilung von Steuerschulden zu lösen.
Die folgenden Ausführungen behandeln speziell die Unterhaltseinkünfte und das Unterhaltseinkommen, wie sie sich aus dem Steuerrecht und seiner Systematik ableiten.
Damit wird der Vorgabe des BGH Rechnung getragen, bei der Ermittlung des unterhaltsrelevanten Einkommens das steuerliche Einkommen zugrunde zu legen.
Die Begriffe "selbstständige Arbeit/Selbstständige" und die schrittweise Ermittlung des Einkommens und seiner Besteuerung orientieren sich an der Definition, Schreibweise und Systematik des Einkommensteuergesetzes.
Familienrechtliche Modifizierungen aus dem Steuerrecht werden innerhalb des jeweiligen Ermittlungsschrittes behandelt.
Jean-Baptiste Colbert, 1619–1683, Finanzminister unter Ludwig XIV. und "Vater" des volkswirtschaftlichen Steuerungsinstruments "Merkantilismus":
"Die Kunst der Besteuerung besteht ganz einfach darin, die Gans so zu rupfen, dass man möglichst viele Federn bei möglichst wenig Geschrei erhält."
Rz. 106
Exkurs Selbstständiger:
Der Begriff des "Selbstständigen" im Unterhaltsrecht ist angelehnt an die Einkommensarten des EStG und umfasst folgende Steuerpflichtige:
Dazu zählen u.a. Ärzte, Rechtsanwälte, Notare, Ingenieure, Architekten, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Krankengymnasten, Journalisten, Dolmetscher, Lotsen, selbstständig tätige Wissenschaftler, Künstler und Abgeordnete, Gesellschafter von Kapitalgesellschaften (§ 2 Abs. 1 Nr. 5, § 20 EStG, insbesondere Gesellschafter einer GmbH.
Zu den Einkünften ...