Rz. 37
Ist die Frage geklärt, in wie vielen Angelegenheiten der Anwalt tätig geworden ist und um welche Angelegenheiten es sich handelt, gilt es, die Gebührentatbestände festzustellen. Dabei ist zu differenzieren:
a) Angelegenheiten, in denen nach dem Gegenstandswert abzurechnen ist
Rz. 38
In Angelegenheiten, in denen nach dem Gegenstandswert (§§ 2 Abs. 1, 3 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 RVG) abzurechnen ist, bestimmt sich die Höhe der Vergütung nach dem Wert des Gegenstands, der der anwaltlichen Tätigkeit zugrunde liegt (Gegenstandswert – § 2 Abs. 1 RVG). Vorzugehen ist dann wie folgt:
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Zunächst müssen einmal die Gegenstände der anwaltlichen Tätigkeit ermittelt werden, und zwar alle Gegenstände, mit denen der Anwalt im Verlaufe der jeweiligen Angelegenheit befasst war; |
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Hiernach müssen die jeweiligen Werte festgestellt werden, was sich aus den §§ 22 ff. RVG ergibt. Besonders zu achten ist auf § 22 Abs. 1 RVG; §§ 23 Abs. 1 S. 1 u. 3 RVG i.V.m. §§ 39 Abs. 1, 45 Abs. 1 GKG, §§ 33 Abs. 1, 39, 44 Abs. 1 FamGKG. Danach werden die Werte verschiedener Gegenstände zusammengerechnet. |
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Hiernach sind dann die Gebührentatbestände zu prüfen. |
aa) Ermittlung der Gegenstände
Rz. 39
Der Anwalt muss sich, bevor er sich an die Gebührentatbestände begibt, zunächst einmal darüber klar werden, hinsichtlich welcher Gegenstände er in der betreffenden Angelegenheit tätig geworden ist. Bereits hier werden häufig Fehler gemacht, indem einzelne Gegenstände übersehen werden, mit denen der Anwalt befasst war.
Rz. 40
Der Anwalt sollte daher stets sorgfältig prüfen, hinsichtlich welcher Gegenstände er im Verlaufe der Angelegenheit beauftragt war, unabhängig davon, ob der Auftrag dann auch durchgeführt worden ist. So wird häufig übersehen, dass die Gegenstände vorzeitig erledigter Aufträge hinzuzurechnen sind. Wechselnde Gegenstände werden übersehen oder auch Gegenstände, für die lediglich ein Protokollierungsauftrag vorlag (z.B. Nr. 3101 Nr. 2, 1. Alt. VV) oder die auftragsgemäß in Einigungsverhandlungen einbezogen worden sind, ohne dass es zu einer Einigung gekommen ist (z.B. Nr. 3101 Nr. 2, 2. Alt. VV).
Beispiel 14: Wertberechnung bei teilweiser vorzeitiger Erledigung
Der Anwalt erhält den Auftrag, eine Forderung in Höhe von 9.500,00 EUR einzuklagen. Vor Klageeinreichung zahlt der Gegner 1.500,00 EUR. Es werden nur 8.000,00 EUR eingeklagt.
Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit beläuft sich auf 9.500,00 EUR. Auch wenn das Verfahren nicht mit diesem Wert zu Ende geführt worden ist, so muss dieser Wert doch zumindest bei der/den Verfahrensgebühr(en) seinen Niederschlag finden (vgl. Vorbem. 3 Abs. 2 VV).
1. |
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV |
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652,60 EUR |
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(Wert: 8.000,00 EUR) |
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2. |
0,8-Verfahrensgebühr, Nr. 3101 Nr. 1 VV |
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101,60 EUR |
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(Wert: 1.500,00 EUR) |
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Zur Kürzung nach § 15 Abs. 3 RVG siehe unten Rdn 64 ff.
Rz. 41
Beispiel 15: Wechselnde Gegenstände
Der Anwalt klagt auftragsgemäß rückständige Mieten für die Monate Oktober, November und Dezember 2021 (jeweils 500,00 EUR) ein. Während des Rechtsstreits stellt der Kläger fest, dass die Mieten für Oktober und November bereits gezahlt waren. Insoweit nimmt der Anwalt auftragsgemäß die Klage zurück. Zwischenzeitlich sind jedoch die Mieten für Januar und Februar 2022 rückständig geworden, sodass insoweit die Klage wieder erhöht wird.
Obwohl nie mehr als drei Mieten zugleich eingeklagt waren, ist der Anwalt doch hinsichtlich fünf verschiedener Mietbeträge (Oktober, November, Dezember 2021, Januar und Februar 2022) tätig geworden, sodass fünf Mieten Gegenstand des Verfahrens waren. Daher beläuft sich der Gegenstandswert des Verfahrens nicht auf 1.500,00 EUR (dies gilt nur für den Zuständigkeitsstreitwert), sondern auf die Summe sämtlicher im Verfahren jemals anhängiger Mieten, also auf 5 x 500,00 EUR = 2.500,00 EUR (§ 23 Abs. 1 S. 1 RVG i.V.m. § 39 Abs. 1 GKG).
Rz. 42
Beispiel 16: Erörtern nicht anhängiger Ansprüche
Der Anwalt erhebt auftragsgemäß Klage wegen einer Forderung in Höhe von 30.000,00 EUR. Im Termin zur mündlichen Verhandlung wird auch über weitere nicht anhängige 5.000,00 EUR erörtert. Eine Einigung kommt jedoch nicht zustande.
Der Anwalt ist insgesamt wegen Gegenständen in Höhe von 35.000,00 EUR tätig geworden. Dieser Wert muss sich bei der Verfahrensgebühr niederschlagen, auch wenn nicht insgesamt eine 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV, sondern aus dem Mehrwert von 5.000,00 EUR nur eine 0,8-Verfahrensgebühr (Nr. 3101 Nr. 2, 1. Alt. VV) anfällt.
1. |
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV |
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1.241,50 EUR |
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(Wert: 30.000,00 EUR) |
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2. |
0,8-Verfahrensgebühr, Nr. 3101 Nr. 2 VV |
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267,20 EUR |
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(Wert: 5.000,00 EUR) |
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Zur Kürzung nach § 15 Abs. 3 RVG siehe unten Rdn 64 ff.
bb) Ermittlung der Werte
Rz. 43
Ist danach festgestellt, hinsichtlich welcher Gegenstände der Anwalt tätig war, sind diese nach den §§ 22 ff. RVG jeweils einzeln zu bewerten. Dabei wird gem. § 23 Ab...