Rz. 21

Weiterhin ist zu fragen, ob nicht gegebenenfalls die Tätigkeit des Anwalts mehrere Gebührenangelegenheiten i.S.d. § 15 RVG umfasst. Das Mandat und der Auftrag dürfen nicht ohne Weiteres mit dem Umfang der Angelegenheit gleichgesetzt werden. Ein Mandat besteht häufig aus mehreren gebührenrechtlichen Angelegenheiten i.S.d. § 15 Abs. 1 RVG, was dazu führt, dass gesonderte Vergütungen anfallen.

 

Rz. 22

Die Aufteilung in mehrere Angelegenheiten ist in zweifacher Hinsicht zu beachten.

aa) Vertikale Aufteilung

 

Rz. 23

Zum einen sieht das RVG eine vertikale Aufteilung vor. Aufeinander folgende Tätigkeiten stellen häufig verschiedene Angelegenheiten dar. So sind jeweils eigene Angelegenheiten: Beratung, außergerichtliche Vertretung, Schlichtungsverfahren, Mahnverfahren, Rechtsstreit im Urkundenverfahren, Rechtsstreit im Nachverfahren oder nach Abstandnahme vom Urkundenverfahren, selbstständiges Beweisverfahren, Berufung, Revision, Beschwerde, Verfahren nach Zurückverweisung u.v.m.

 

Rz. 24

Auch eine weitere Tätigkeit nach Ablauf von zwei Kalenderjahren stellt gem. § 15 Abs. 5 S. 2 RVG eine neue Angelegenheit dar. Hier ist stets Acht zu geben und gesondert abzurechnen.

 

Rz. 25

In allen diesen gesonderten Angelegenheiten werden jeweils auch gesonderte Gebühren ausgelöst. Auch wenn in diesen Fällen in den jeweils nachfolgenden Angelegenheiten die Gebühr einer vorangegangenen Angelegenheit ganz oder vollständig angerechnet wird (wie etwa bei der Beratung oder dem Mahnverfahren), bleibt dem Anwalt eine zusätzliche Vergütung. Zum einen werden Auslagen, insbesondere die Postentgeltpauschalen nach Nr. 7002 VV, nicht angerechnet,[5] sondern bleiben anrechnungsfrei erhalten. Zum anderen wird in diesen Fällen aber auch häufig übersehen, dass die vorangegangene Tätigkeit nach einem höheren Gebührensatz abzurechnen war oder einen höheren Gegenstandswert hatte und daher die Gebühren nach dem höheren Satz oder Wert in der vorangegangenen Angelegenheit anrechnungsfrei verbleiben. Auch können sich in der nachfolgenden Angelegenheit durch eine Änderung des RVG höhere Gebührenbeträge ergeben (§ 60 RVG).

 

Beispiel 6: Anrechnung bei geringerem Wert in der nachfolgenden Angelegenheit

Der Anwalt erhält den Auftrag für ein Mahnverfahren über 10.000,00 EUR. Der Antragsgegner legt fristgerecht Widerspruch ein. Das streitige Verfahren wird nur wegen einer Forderung von 5.000,00 EUR durchgeführt.

Zwar ist die Verfahrensgebühr des Mahnverfahrens (Nr. 3305 VV) in voller Höhe nach Anm. zu Nr. 3305 VV auf das nachfolgende gerichtliche Verfahren anzurechnen, allerdings nur aus einem Wert in Höhe von 5.000,00 EUR. Das bedeutet also, dass die Gebührendifferenz aus einem Wert von 10.000,00 EUR und einem Wert von 5.000,00 EUR dem Anwalt anrechnungsfrei verbleibt. Angerechnet wird die Mahnverfahrensgebühr nämlich nur nach dem Wert des streitigen Verfahrens, also nur, soweit sie nach einem Wert von 5.000,00 EUR entstanden wäre (analog Vorbem. 3 Abs. 4 S. 3 VV). Darüber hinaus verbleiben dem Anwalt auch die 20,00 EUR Postentgeltpauschale nach Nr. 7002 VV anrechnungsfrei.[6]

 
I. Mahnverfahren
1. 1,0-Verfahrensgebühr, Nr. 3305 VV   614,00 EUR
  (Wert: 10.000,00 EUR)    
2. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
  Zwischensumme 634,00 EUR  
3. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   120,46 EUR
Gesamt   754,46 EUR
II. Streitiges Verfahren
1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV   434,20 EUR
  (Wert: 5.000,00 EUR)    
2. anzurechnen gem. Anm. zu Nr. 3305 VV,   – 334,00 EUR
  1,0 aus 5.000,00 EUR    
3. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV   400,80 EUR
  (Wert: 5.000,00 EUR)    
4. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
  Zwischensumme 521,00 EUR  
5. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   98,99 EUR
Gesamt   619,99 EUR
Anrechnungsfrei sind somit:
Verfahrensgebühr Mahnverfahren   614,00 EUR
Verfahrensgebühr Rechtsstreit   – 434,20 EUR
Auslagen   20,00 EUR
Gesamt   199,80 EUR
 

Rz. 26

Wer hier also nicht gesondert nach Angelegenheiten abrechnet, verschenkt in aller Regel einen Teil seiner Vergütung.

[5] BGH AGS 2004, 343 m. Anm. N. Schneider = FamRZ 2004, 1720 = NJW-RR 2004, 1656 = RVGreport 2004, 347; AGS 2005, 26 = NJW-RR 2005, 939 = RVGreport 2004, 470 = FamRZ 2005, 196; N. Schneider, Berechnung der Postentgeltpauschalen in Anrechnungsfällen, ProzRB, 2003, 310; ders., Verschenkte Postentgeltpauschalen, AGS 2003, 94.
[6] BGH AGS 2004, 343 m. Anm. N. Schneider = NJW-RR 2004, 1656 = RVGreport 2004, 347; AGS 2005, 26 = NJW-RR 2005, 939 = RVGreport 2004, 470.

bb) Horizontale Aufteilung

 

Rz. 27

Die Aufteilung in verschiedene Angelegenheiten ist darüber hinaus auch in horizontaler Ebene zu berücksichtigen. Ein scheinbar einheitlicher Auftrag kann durchaus auch mehrere parallel laufende Angelegenheiten erfassen.

 

Rz. 28

So stellen z.B. Hauptsacheverfahren und einstweilige Anordnung in Familiensachen und in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit stets eigene Angelegenheiten dar (§ 17 Nr. 4 Buchst. b) RVG).

 

Beispiel 7: Einstweilige Anordnung im Umgangsrechtsverfahren

Der Kindesvater stellt einen Antrag zum Umgangsrecht und beantragt gleic...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?