Rz. 55
Sind danach die Gebühren und Gebührensätze ermittelt, ist die Frage der Anrechnung zu prüfen. Das RVG ordnet in vielen Fällen an, dass vorangegangene Betriebsgebühren auf die Betriebsgebühren eines nachfolgenden Verfahrens anzurechnen sind, wenn der Gegenstand derselbe ist (so z.B. § 34 Abs. 2 RVG; Anm. zu Nr. 3305 VV; Anm. zu Nr. 3307 VV; Vorbem. 2.3 Abs. 4–6 VV; Vorbem. 3 Abs. 4, Abs. 5, Abs. 6 VV; Anm. zu Nr. 3100 VV etc.). Die Anrechnung kann sich sogar aus Teil 4 VV (Strafsachen) ergeben (Anm. Abs. 2 zu Nr. 4143 VV).
Rz. 56
Ist ein solcher Anrechnungsfall gegeben, muss ein Betrag angerechnet werden, der der vorangegangenen Betriebsgebühr entspricht, sofern nicht etwas anderes angeordnet ist, etwa in Vorbem. 2.3 Abs. 4 u. 6 VV oder Vorbem. 3 Abs. 4 VV (hälftige Anrechnung, höchstens 0,75) oder in Anm. Abs. 2 zu Nr. 4143 VV (zwei Drittel).
Rz. 57
Eine besondere Form der Anrechnung ist vorgesehen in Anm. Abs. 1 zu Nr. 3101 VV für die Verfahrensgebühr der Nr. 3100 VV und in Anm. Abs. 1 zu Nr. 3201 VV für die Verfahrensgebühr der Nr. 3200 VV (siehe dazu § 14 Rdn 1 ff.).
Rz. 58
Vor einer Anrechnung ist stets zu prüfen, ob der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit auch derselbe ist. Dies zu beurteilen ist nicht immer einfach.
Beispiel 19: Außergerichtliche Schadensregulierung und isolierte Kostenerstattungsklage
Der Anwalt war außergerichtlich beauftragt, Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall (8.000,00 EUR) zu regulieren. Der Versicherer zahlt den Schaden, weigert sich jedoch, die angefallenen Anwaltskosten zu übernehmen, die daraufhin eingeklagt werden.
Dem außergerichtlichen Auftrag zur Durchsetzung der Schadensersatzansprüche und der isolierten Klage auf Kostenerstattung liegen zwei verschiedene Streitgegenstände zugrunde. Daher ist eine Anrechnung ausgeschlossen.
I. |
Außergerichtliche Vertretung |
1. |
1,5-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV |
|
753,00 EUR |
|
(Wert: 8.000,00 EUR) |
|
|
2. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
773,00 EUR |
|
3. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
|
146,87 EUR |
Gesamt |
|
919,87 EUR |
II. |
Gerichtliches Verfahren |
1. |
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV |
|
114,40 EUR |
|
(Wert: 919,87 EUR) |
|
|
2. |
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV |
|
105,60 EUR |
|
(Wert: 919,87 EUR) |
|
|
3. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
240,00 EUR |
|
4. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
|
45,60 EUR |
Gesamt |
|
285,60 EUR |
Rz. 59
Zu beachten ist, dass bei wechselnden Gegenständen nicht anzurechnen ist.
Beispiel 20: Keine Anrechnung bei wechselnden Gegenständen
Der Anwalt ist wegen der rückständigen Mieten (je 1.000,00 EUR) für Januar, Februar und März außergerichtlich tätig. Der Mieter zahlt Januar und Februar. April und Mai bleiben ebenfalls aus. Der Anwalt klagt nunmehr diese drei Mieten ein.
Zwar beläuft sich der Gegenstandswert vorgerichtlich und auch gerichtlich auf jeweils 3.000,00 EUR. Angerechnet wird jedoch nur, soweit die Gegenstände identisch sind. Das ist aber nur hinsichtlich der Miete März der Fall, sodass nur nach 1.000,00 EUR anzurechnen ist.
I. |
Außergerichtliche Vertretung |
1. |
1,5-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV |
|
333,00 EUR |
|
(Wert: 3.000,00 EUR) |
|
|
2. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
353,00 EUR |
|
3. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
|
67,07 EUR |
Gesamt |
|
420,07 EUR |
II. |
Gerichtliches Verfahren |
1. |
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV |
|
288,60 EUR |
|
(Wert: 3.000,00 EUR) |
|
|
2. |
gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnen, |
|
– 66,00 EUR |
|
0,75 aus 1.000,00 EUR |
|
|
3. |
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV |
|
266,40 EUR |
|
(Wert: 3.000,00 EUR) |
|
|
4. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
509,00 EUR |
|
5. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
|
96,71 EUR |
Gesamt |
|
605,71 EUR |
Rz. 60
Zu beachten ist, dass nicht mehr angerechnet werden darf, als in der nachfolgenden Angelegenheit an Gebühren entstehen. Ist also der Gebührensatz in der vorangegangenen Angelegenheit höher, wird nur nach dem geringeren Gebührensatz der nachfolgenden Angelegenheit angerechnet (siehe auch § 8 Rdn 52 f.).
Beispiel 21: Anrechnung, wenn sich die anzurechnende Gebühr nach einem höheren Satz bestimmt
Der Anwalt erhält einen Auftrag für ein Mahnverfahren über 7.500,00 EUR. Der Antragsgegner legt fristgerecht Widerspruch ein. Anschließend erhält er den Auftrag zur Durchführung des streitigen Verfahrens. Bevor der Anwalt etwas veranlasst, wird der Einspruch zurückgenommen und nunmehr Vollstreckungsbescheid beantragt.
Da im streitigen Verfahren nur eine 0,8-Gebühr nach Nr. 3101 Nr. 1 VV entsteht, wird die Verfahrensgebühr der Nr. 3305 VV (Anm. zu Nr. 3305 VV) nur zu 0,8 angerechnet.
I. |
Mahnverfahren |
1. |
1,0-Verfahrensgebühr, Nr. 3305 VV |
|
502,00 EUR |
|
(Wert: 7.500,00 EUR) |
|
|
2. |
0,5-Verfahrensgebühr, Nr. 3308 VV |
|
251,00 EUR |
|
(Wert: 7.500,00 EUR) |
|
|
3. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
773,00 EUR |
|
4. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
|
146,87 EUR |
Gesamt |
|
919,87 EUR |
II. |
Streitiges Verfahren |
1. |
0,8-Verfahrensgebühr, Nr. 3101 Nr. 1 VV |
|
401,60 EUR |
|
(Wert: 7.500,00 EUR) |
|
|
2. |
anzurech... |