Rz. 1

Am 1.9.2009 ist das Familienrecht so stark verändert worden, wie seit vielen Jahren nicht mehr. Neben einem neuen Verfahrensrecht traten auch Änderungen des Güterrechts in Kraft und strukturierten das Recht des Zugewinnausgleichs in wichtigen Punkten neu. Bereits vorausgegangen waren tief greifende Änderungen des Unterhaltsrechts, des Personenstandsrechts, des Abstammungsrechts und des Kindschaftsrechts. Den neben dem Verfahrensrecht wichtigsten Stein des neuen Familienrechts bildet aber der neue Versorgungsausgleich – nicht zuletzt deswegen, weil in jedem Fall der Beendigung einer Ehe auf andere Weise als durch den Tod eines Ehegatten ein Versorgungsausgleich durchgeführt werden muss (bei Scheidungen, vgl. § 137 FamFG) oder kann (bei Aufhebungen, vgl. § 1318 Abs. 3 BGB).

 

Rz. 2

Beim Versorgungsausgleich hat sich der Gesetzgeber (anders als etwa beim Güterrecht) nicht damit begnügt, durch Randkorrekturen erkannte Probleme zu beseitigen, sondern er hat das gesamte frühere Ausgleichssystem verworfen und einen ganz neuen Versorgungsausgleich geschaffen. In diesem neuen Recht sind die das frühere Recht beherrschenden Prinzipien nur zu einem kleinen Teil erhalten geblieben. Der Gesetzgeber hat damit anerkannt, dass sich die Rahmenbedingungen für den Versorgungsausgleich seit der Einführung dieses Rechtsinstituts im Jahr 1977 deutlich verändert haben: V.a. die überragende Bedeutung der gesetzlichen Rentenversicherung für die Altersversorgung hat sich durch die demografische Entwicklung und die daraus abzuleitenden Folgen für die Renditeerwartung relativiert, sodass es heute nicht mehr angemessen erscheint, den Ehegatten einen Ausgleich über die gesetzliche Rentenversicherung zwangsweise vorzuschreiben. Zum anderen haben heute in viel mehr Fällen als früher beide Ehegatten Versorgungsanrechte, welche ausgeglichen werden müssen, weil die Fälle einer Hausfrauenehe immer seltener vorkommen und auch in diesen Konstellationen wegen der rentenrechtlich relevanten Erziehungszeiten ebenfalls Anrechte erworben werden, welche auszugleichen sind. Schließlich wurden durch die Reform Anwendungsprobleme des früheren Rechts korrigiert, die sich aus der Notwendigkeit ergeben hatten, dass für den Versorgungsausgleich des früheren Rechts alle Anrechte vergleichbar gemacht werden mussten, was zu sehr fehleranfälligen Umrechnungen mit kaum jemals sich realisierenden Prognosen führte.

 

Rz. 3

Das vorliegende Werk will auf der Grundlage einer gründlichen Analyse der Dogmatik des Versorgungsausgleichs anhand von vielen Beispielen, Checklisten und Übersichten Hilfestellungen bei der praktischen Arbeit mit dem (nicht mehr ganz so) neuen Recht geben. Zum einen werden dabei die Ziele des Versorgungsausgleichsrechts und die Handlungsmöglichkeiten vorgestellt, welche dieses dem Rechtsanwender bietet. Dabei wird besonderer Wert auf das Aufzeigen von Handlungsalternativen gelegt, um ihm die Chancen des Versorgungsausgleichsrechts nahe zu bringen, das erheblich mehr Handlungsspielraum bietet, als das beim bis zum 31.8.2009 geltenden Versorgungsausgleich der Fall war. Zum anderen wird auf die Gefahren des heutigen Rechts eingegangen, das an vielen Stellen für den Rechtsanwender auch Stolpersteine bereithält, durch welche vor allem für den Anwalt nicht geringe Risiken bestehen, sich schadensersatzpflichtig zu machen. Auf diese Steine hinzuweisen und Wege zu zeigen, sie zu umgehen, ist eine der wichtigsten Aufgaben dieses Werks.

 

Rz. 4

In einem einleitenden Teil (siehe unten § 2 Rdn 1 ff.) wird auf die Besonderheiten des Mandats in Versorgungsausgleichssachen hingewiesen: Das Mandat in Versorgungsausgleichssachen betrifft die häufigste Folgesache in Scheidungsverfahren, denn beim Versorgungsausgleich handelt es sich um die einzige Folgesache, die mit der Scheidung in einem Zwangsverbund steht, also – von wenigen Sonderfällen abgesehen – in jedem Scheidungsverfahren geklärt werden muss. Sie bereitet dem Rechtsanwender aber große Schwierigkeiten, die sich vor allem aus der heute den Regelfall bildenden realen Teilung von Anrechten und der in diesem Zusammenhang immer auftretenden Bewertungsproblematik ergibt. Das führt dazu, dass der Versorgungsausgleich von vielen relativ stiefmütterlich behandelt wird und dass generell eine negative Grundhaltung gegenüber diesem Rechtsgebiet besteht. Das wird noch dadurch befördert, dass die Gebühren in Versorgungsausgleichssachen im Vergleich zu den Vermögenswerten, welche von den Verfahren betroffen sind, relativ gering ausfallen, so dass vielleicht manchmal etwas zu wenig Energie auf diese Verfahren verwendet wird – auch im Hinblick darauf, das Gericht werde schon alles richten, weil in den Verfahren das Amtsermittlungsprinzip gilt. Ziel des Abschnitts ist die Sensibilisierung für die Risiken und Chancen des Versorgungsausgleichs. Außerdem soll dem Rechtsanwender aufgezeigt werden, was schon im Vorfeld eines Versorgungsausgleichsverfahrens unternommen werden kann, um das Verfahren zu beschleunigen und ggf. zu inte...

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