A. Strukturelle Änderungen
Rz. 1
Die Zahl und Relevanz der Betreuungen übersteigt die der Vormundschaften bei weitem. So wird uns der demografische Wandel von der Zeit der Konzeption des BGB zum Ausgang des 19. Jahrhunderts bis heute auch hier wieder vor Augen geführt. Aus dem Betreuungsrecht über den § 1908i BGB a.F. auf zahlreiche, aber nicht alle Normen des Vormundschaftsrecht zu leiten, ist daher nicht mehr zeitgemäß. Folgerichtig wird die Verweisungsstruktur in ihr Gegenteil verkehrt: Die Regelungen insbesondere zur Vermögenssorge und zu Genehmigungstatbeständen finden sich dann im Betreuungsrecht und das Vormundschafts- und Pflegschaftsrecht verweist dorthin. Insgesamt ist die Neukonzeption von sehr viele Bezugnahmen geprägt, was zum Teil zu einem "Verweisungskarussell" führt. Ob das die Anwendung mühsamer gestaltet oder erleichtert, wird sich zeigen.
Rz. 2
Die Vorsorgevollmacht wird trotz ihrer großen Relevanz nur am Rande behandelt. Detailliert geregelt wird aber die sie voraussetzende Kontrollbetreuung, §§ 1815 Abs. 3, 1820 Abs. 3 BGB n.F. (siehe § 6), geändert der Ablauf beim Vollmachtswiderruf durch einen Betreuer, § 1820 Abs. 5 BGB n.F. (siehe § 7 Rdn 8–10).
Da viele Änderungen die Arbeit der Betreuer und der Betreuungsbehörden betreffen, wird das Betreuungsbehördengesetz durch das Betreuungsorganisationsgesetz ersetzt.
Rz. 3
In internationaler Hinsicht wird bei Betreuung, Vormund- und Pflegschaft für die Beurteilung der Geschäftsfähigkeit nicht mehr an die Staatsangehörigkeit angeknüpft, sondern an den gewöhnlichen Aufenthalt. Deutsche Gerichte wenden in Bezug auf Fürsorgeverhältnisse zukünftig ihr eigenes Recht an. Dies soll der internationalen Rechtsentwicklung folgen und der Systematik des Haager Kinderschutzübereinkommens (KSÜ) entsprechen.
B. Überblick
I. Einleitung
Rz. 4
Die Änderungen durch die Reform betreffen nicht einzelne Paragrafen. Vielmehr wurden der gesamte Abschnitt 3 des 4. Buches des BGB sowie zahlreiche, einzelne Normen im BGB und in anderen Gesetzen geändert:
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Änderungen abseits von den Normen zum Betreuungs- und Vormundschaftsrecht |
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Umkehr der Verweisungssystematik hin zum Betreuungsrecht |
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Einzelne Änderungen im Kindschaftsrecht |
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Zahlreiche Änderungen im Vormundschaftsrecht |
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Änderungen im Pflegschaftsrecht |
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Umfassende Änderungen des Betreuungsrechts im BGB sowie durch das BtOG |
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Änderungen für das Zentrale Vorsorgeregister mit Auswirkungen auf die BNotO |
II. Änderungen abseits der Normen des Betreuungs- und Vormundschaftsrechts
Rz. 5
Als wichtige Änderungen abseits von den Normen zum Betreuungs- und Vormundschaftsrecht sind zu nennen:
III. Umkehr der Verweisungssystematik hin zum Betreuungsrecht
Rz. 6
Wurde bislang aus dem Betreuungsrecht über den § 1908i BGB a.F. auf zahlreiche, aber nicht alle Normen des Vormundschaftsrecht verwiesen, wird die Verweisungsstruktur nun umgekehrt. Dies gilt insbesondere für Genehmigungserfordernisse (siehe § 15 Rdn 17–26) und das Genehmigungsverfahren (siehe § 15 Rdn 27–30) in vermögensrechtlichen Angelegenheiten, für das z.B. aus dem Vormundschaftsrecht (etwa in §§ 1798, 1800 BGB n.F.) und dem Pflegschaftsrecht (etwa in § 1811 BGB n.F.) auf das Betreuungsrecht verwiesen wird.
Zum Teil sind die Verweisungen kompliziert, da zu ihnen gleich wieder Ausnahmen formuliert werden oder es zu Weiterverweisungen kommt, etwa vom Pflegschafts- auf das Vormundschafts- und von da auf das Betreuungsrecht.
IV. Kindschaftsrecht
Rz. 7
Im Kindschaftsrecht ergeben sich neben Folgeänderung aufgrund von Verweisungen einzelne Änderungen:
Kleinere Änderungen |
§§ 1631, 1638, 1639, 1713, 1716 BGB a.F./n.F. |
siehe § 20 |
Genehmigungsbedürftige Rechtsgeschäfte |
Verweis von § 1643 BGB n.F. nicht mehr auf das Vormundschafts-, sondern das Betreuungsrecht, §§ 1850–1854 BGB n.F., mit Ausnahmen; ähnlich in § 1644 BGB n.F. |
siehe § 20 |
Anzeigepflicht: für Erwerbsgeschäfte |
§ 1645 BGB n.F. |
siehe § 20 |
V. Vormundschaftsrecht
Rz. 8
Im Vormundschaftsrecht ergeben sich neben Folgeänderung aufgrund von Verweisungen folgende Änderungen:
Umfassende Änderungen zur Begründung und Führung der Vormundschaft allgemein sowie der Personensorge und der Beendigung der Vormundschaft |
§§ 1773–1798, 1800 f., 1882–1895 BGB a.F., §§ 1773–1797, 1804–1807 BGB n.F. |
siehe § 14 |
Umfassende Änderungen bei den Vermögensangelegenheiten |
§§ 1802–1834 BGB a.F., §§ 1798–1801, 1807 BGB n.F. mit Verweisungen auf das Betreuungsrecht |
siehe § 15 |
Streichung des Gegenvormunds |
§ 1799 BGB a.F. |
siehe § 14 Rdn 4 |
Neuregelung der Beratung und Aufsicht durch das Familiengericht |
§§ 1837–1851 BGB a.F., §§ 1802 f. BGB n.F... |