Rz. 1

Die Reform des Jahres 2017 lässt sich nur vor dem Hintergrund der Entwicklung der Arbeitnehmerüberlassung in Deutschland in den vorausgehenden Jahrzehnten sachgerecht einordnen. Die Regulierung der Zeitarbeit geht zurück bis in die 1960er Jahre. Vor Inkrafttreten des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes am 11.10.1972[1] galt die Arbeitnehmerüberlassung aufgrund des Arbeitsvermittlungsmonopols der damaligen Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung (heute Bundesagentur für Arbeit) als verboten. Erst sieben Jahre nach Gründung des ersten deutschen Zeitarbeitsunternehmens erklärte das BVerfG[2] 1967 die Einbeziehung der Arbeitnehmerüberlassung in das Arbeitsvermittlungsmonopol für mit der Berufswahlfreiheit aus Art. 12 GG nicht vereinbar. Das BVerfG bejahte zwar die Gefahr einer Umgehung des Monopols durch die Arbeitnehmerüberlassung sowie eine Nähe von Arbeitsvermittlung und Arbeitnehmerüberlassung hinsichtlich der wirtschaftlichen Funktion.[3] Es betonte aber auch die Unterschiede: Während die Arbeitsvermittlung mit der Tätigkeit eines Maklers vergleichbar sei und sich in der Vermittlung von Arbeitssuchenden und Arbeitgebern erschöpfe, bestehe bei der Arbeitnehmerüberlassung ein dauerndes Rechtsverhältnis zwischen dem Zeitarbeitsunternehmen und den überlassenen Arbeitnehmern.[4] Eine konkrete Gefahr einer Ersetzung des Eigenpersonals durch einen dauerhaften Einsatz von Zeitarbeitnehmern sah das BVerfG nicht.[5] Vielmehr könne die Zeitarbeit ein besonderes wirtschaftliches Bedürfnis nach Mobilisierung derjenigen Arbeitnehmer erfüllen, die aus den verschiedensten Gründen keine Daueranstellung annehmen können oder wollen.[6] Entgegen der in der öffentlichen Diskussion häufig einseitig verfälschten Darstellung der Zeitarbeit als Instrument des "Lohndumpings" und der Kostensenkung erkannte das oberste Verfassungsgericht somit bereits in den 1960er Jahren die Vorteile der Arbeitnehmerüberlassung als "Jobmotor" ausdrücklich an.

 

Rz. 2

Auch das BSG äußerte sich wenige Jahre später zur Abgrenzung von Vermittlung und Überlassung sowie der Schutzfunktion des Arbeitsvermittlungsmonopols. Das Monopol des Staates rechtfertige sich aus Gründen der sozialen Sicherheit der Arbeitnehmer, zum Schutz der Würde ihrer Person (Schutz vor Ausbeutung) und aus Gründen eines wirksamen Ausgleichs zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt. Diese Schutzfunktionen erfordern es aber nicht, solche Verhältnisse in das Vermittlungsmonopol einzubeziehen, bei denen der Schwerpunkt der arbeitsrechtlichen Beziehungen im Verhältnis zwischen Verleiher und Arbeitnehmer liege und somit eine feste Grundlage für einen arbeitsrechtlichen Schutz bereits vorhanden sei.[7] Kurz gesagt, Arbeitnehmerüberlassung liegt vor, wenn zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer bereits ein Arbeitsverhältnis besteht und in diesem Verhältnis der Schwerpunkt der arbeitsrechtlichen Beziehungen des Leiharbeitnehmers liegt.

 

Rz. 3

Die Freigabe der Arbeitnehmerüberlassung durch das BVerfG veranlasste den Gesetzgeber die nunmehr wachsende Branche der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung staatlich zu regulieren. Mit dem ersten Arbeitnehmerüberlassungsgesetz vom 7.8.1972[8] wurde die bis heute bestehende Erlaubnispflicht eingeführt. Eine Erlaubnis erhalten seither nur diejenigen Verleihunternehmen, die die erforderliche Zuverlässigkeit besitzen und den sozialen Schutz der Leiharbeitnehmer gewährleisten. Zum Schutz der Leiharbeitnehmer wurde schon 1972 eine Höchstüberlassungsdauer eingeführt, die allerdings in der Folgezeit kontinuierlichen Änderungen unterworfen war. Die folgende Übersicht zeigt anschaulich die zunächst konstante Entwicklung hin zur Verlängerung der Einsatzzeiten und den 2011 einsetzenden Gegentrend hin zur Verkürzung der Überlassungsdauer:

 

Rz. 4

 

Übersicht: Entwicklung der Höchstüberlassungsdauer

Jahr Höchstüberlassungsdauer
1972 3 Monate
1985 6 Monate
1994 9 Monate
1997 12 Monate
2002 24 Monate*
2004 Unbegrenzte Überlassungsdauer**
2011 "vorübergehend"
2017 18 Monate

*verbunden mit Equal Treatment Grundsatz ab 13. Monat

**verbunden mit Equal Treatment Grundsatz ab dem ersten Tag

[1] BT-Drucks VI/3505, 1.
[2] BVerfG v. 4.4.1967 – 1 BvR 84/65, BVerfGE 21, 261.
[3] BVerfGE 21, 261, Rn 21.
[4] BVerfGE 21, 261, Rn 22.
[5] BVerfGE 21, 261, Rn 23.
[6] BVerfGE 21, 261, Rn 25.
[8] BGBl I, 1393.

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