Rz. 64
Mit der Rechtsfähigkeit der Gesellschaft unterliegen konsequenterweise auch alle zum Erwerb der Rechtsfähigkeit erforderlichen Maßnahmen dem Gesellschaftsstatut. Dies gilt z.B. für die Anforderungen an die Errichtung des Gesellschaftsvertrags und den notwendigen Inhalt des Vertrags.
Rz. 65
Aus dem Gesellschaftsstatut ergeben sich daneben auch die Möglichkeit des Entstehens einer Vorgesellschaft und die hierfür erforderlichen Voraussetzungen, der Umfang ihrer Rechtsfähigkeit und ihre Organisation, die Haftung der Gesellschafter für die Verbindlichkeiten und die Übernahme der Verbindlichkeiten und Rechte durch die spätere Vollgesellschaft und die weiteren Wirkungen einer Vorgesellschaft. Dies folgt daraus, dass es sich bei der Vorgesellschaft um Vorwirkungen der eigentlichen Gesellschaft handelt und ihr Entstehen gesetzliche Folge der Gründung ist, solange das Gründungsverfahren noch nicht abgeschlossen ist. Die Identität der Vorgesellschaft mit der vollendeten Gesellschaft bedingt auch die Identität des Statuts von GmbH und ihrer Vorgesellschaft.
Rz. 66
Die Vor-Gründungsgesellschaft dagegen stellt ein eigenes Rechtsverhältnis (z.B. GbR) zwischen den – nicht notwendigerweise allen – Gesellschaftern der GmbH dar. Dieses setzt sich nicht notwendigerweise in der GmbH bzw. der Vorgesellschaft fort, sondern kann nach Gründung der Gesellschaft eventuell neben der GmbH als Gesellschaftervereinbarung eine eigene Existenz behalten. Soweit es sich hierbei um eine reine Innengesellschaft handelt, ist die Vor-Gründungsgesellschaft nicht gesellschaftsrechtlich zu qualifizieren, sondern rein vertragsrechtlich, so dass die Beteiligten gem. Art. 3 Rom I-VO das anwendbare Recht durch freie Rechtswahl vereinbaren können. Haben sie eine entsprechende Rechtswahl versäumt, gilt gem. Art. 4 Rom I-VO das Recht, mit dem der Sachverhalt am engsten verbunden ist. Häufig wird dies das Recht des Staates sein, in dem die Gesellschaft errichtet werden soll. Teilweise wird angenommen, auch die Vor-Gründungsgesellschaft unterliege dem künftigen Gesellschaftsstatut. Dies ist nach dem Vorgesagten nicht zwingend. Es ist auch nicht immer sinnvoll: Man denke etwa an den Fall, dass zwei deutsche Gesellschaften – die möglicherweise demselben Konzern angehören – sich zusammentun, um in Vietnam eine Hotelanlage für deutsche Urlauber zu errichten, die in der Rechtsform einer lokalen Kapitalgesellschaft organisiert werden soll. Hier wären die beiden deutschen Gesellschaften überrascht, wenn sie erführen, dass die zwischen ihnen bestehende Vereinbarung nur deswegen, weil die Hotelgesellschaft als GmbH vietnamesischen Rechts errichtet würde, ebenfalls als "GbR vietnamesischen Rechts" zu beurteilen wäre. Eine Anknüpfung nach diesen Grundsätzen würde sogar vollständig scheitern, wenn sich die Gesellschafter zwar über die Gründung der Gesellschaft einig sind, aber noch nicht darüber, in welchem der mehreren benachbarten Ländern diese errichtet werden soll.
Beispiel: Bei gemeinschaftlichen Investitionen in China wird häufig erst relativ spät entschieden, ob die ausländischen Investoren die Beteiligung an dem chinesischen Unternehmen direkt oder über eine in Hongkong (bzw. Singapur) gegründete Zwischen-Holding halten oder gar über eine Hongkong-Limited Company unmittelbar in China tätig werden.
Rz. 67
In gleicher Weise unterliegen Gesellschaftervereinbarungen unter den Gründern außerhalb des eigentlichen Gesellschaftsvertrags (Gründungsvertrag, joint venture agreement, vertragliche Nebenabreden unter den Gründungsgesellschaftern, soweit diese nicht materielle Satzungsbestimmung werden, etc.) gem. Art. 3 Rom I-VO dem von den Beteiligten frei gewählten Vertragsstatut. Insoweit gelten die gleichen Regeln wie für die Anknüpfung der Vor-Gründungsgesellschaft (siehe Rdn 66). Allenfalls die Auswirkungen der Vereinbarung auf die gesellschaftliche Struktur (wie z.B. bei einer Stimmbindungsvereinbarung) wären gesellschaftsrechtlich zu qualifizieren, so dass sich das Statut der Gesellschaft insoweit auf die Wirkungen und die Durchsetzbarkeit der Gesellschaftervereinbarung auswirkt.
Rz. 68
Ausgenommen vom Gesellschaftsstatut sind des Weiteren die registerrechtlichen Fragen, also das Verfahren der Eintragung, die Anforderungen an die Anträge etc. Diese unterliegen der lex libri bzw. der lex fori, also dem Recht des Staates, dessen Behörde bzw. dessen Gericht das Register führt, in dem die GmbH eingetragen werden muss. Da die Registrierung einer Kapitalgesellschaft in dem Land erfolgen muss, in dem sie ihren statutarischen Sitz hat und nach dessen Recht sie errichtet wird, deckt sich die lex libri aber zwangsläufig mit dem Gesellschaftsstatut, so dass eine Divergenz in der Praxis nicht vorkommt.