Rz. 170
Eine Einschränkung der Kombinationslehre bei der transnationalen Verschmelzung ergab sich in einer Sonderkonstellation, die dem österreichischen OGH zur Entscheidung vorlag: Das österreichische Recht kennt die Möglichkeit, eine GmbH durch Übertragung ihres Unternehmens auf einen Alleingesellschafter bzw. einen Gesellschafter mit mindestens 90 % Beteiligung "umzuwandeln" (§ 2 öst. UmwG). Diese Umwandlung kommt zustande, indem diese bei der umzuwandelnden Gesellschaft im Firmenbuch eingetragen wird. Das Vermögen geht dann mit allen Aktiva und Passiva auf den Hauptgesellschafter über. Ein Minderheitsgesellschafter ist ggf. abzufinden. Der österreichische OGH hat mit Urt. v. 20.3.2003 eine derartige Umwandlung einer österreichischen Tochtergesellschaft ohne Berücksichtigung des deutschen Gesellschaftsstatuts der Muttergesellschaft ausgesprochen. Zwar habe die Umwandlung die gleiche Funktion wie eine Verschmelzung. Anders als eine Verschmelzung greife diese Umwandlung aber nicht in die Struktur der übernehmenden Gesellschaft ein. Daher seien auch eine Prüfung und Eintragung des Umwandlungsvorgangs durch das Handelsregister am Sitz des Alleingesellschafters nach dem für diesen geltenden Gesellschaftsstatut für die Eintragung der Umwandlung im österreichischen Firmenbuch nicht erforderlich. Ein vergleichbares Verfahren kennt auch das französische Recht mit der transmission universelle de patrimoine gem. Art. 1844–5 code civil (TUP), einer Art Verschmelzung in einem vereinfachten Verfahren auf die Muttergesellschaft.
Rz. 171
Hiergegen sind in Deutschland Bedenken geäußert worden: Wegen der Vergleichbarkeit der Umwandlung i.S.d. österreichischen Rechts mit der Verschmelzung i.S.d. deutschen Rechts sollen auch die Erfordernisse des deutschen Rechts zu beachten sein.
Rz. 172
Dieser Vergleich mit der Verschmelzung überzeugt aber nicht: Das gleiche Ergebnis wie bei der "Umwandlung" nach österreichischem Recht ließe sich hier auch im Wege der Anwachsungslösung (siehe Rdn 168) erreichen. Dort sind aber – und das war bislang unstreitig – auf Seiten der übernehmenden Gesellschaft die Voraussetzungen für eine Verschmelzung nicht einzuhalten. Man könnte daher ebenso durch den Vergleich mit der Anwachsungslösung den Schluss ziehen, der OGH habe genau richtig entschieden. Hinzu kommt, dass bei der Hineinverschmelzung Schutzvorschriften im Wesentlichen auf Seiten der ausländischen übertragenden Gesellschaft zu beachten sind, eine "Umgehung" inländischer Schutzvorschriften für die aufnehmende Gesellschaft also kaum in Betracht kommt.
Rz. 173
Entscheidend ist hier das Argument des OGH, der darauf abstellt, ob es auf der Ebene der übernehmenden Gesellschaft zu irgendwelchen Änderungen kommt. Das ist dann ausgeschlossen, wenn auf die Alleingesellschafterin verschmolzen wird, da dann die übernehmende Gesellschaft keinerlei Kapitalerhöhung vornehmen und keinen neuen Gesellschafter aufnehmen muss. Die Übernahme der Passiva aus der übertragenden Gesellschaft ist unmaßgeblich, denn eine Haftung der Alleingesellschafterin kann auch aus Konzernrecht oder anderen Gründen erfolgen. Daher sollte man vielmehr im Gegenteil für alle Umwandlungsvorgänge, bei denen die Struktur des übernehmenden Gesellschafters unberührt bleibt, grundsätzlich ausschließlich auf das Gesellschaftsstatut des übertragenden Gesellschafters abstellen. Das gilt nicht nur für die Verschmelzung auf den Alleingesellschafter, sondern auch für die Auf- und Abspaltung von einer ausländischen auf eine deutsche Gesellschaft.
Rz. 174
Allenfalls bei der Bewertung der Vertretungsbefugnis des gesellschaftlichen Vertretungsorgans für den Abschluss des Verschmelzungsvertrags etc. wäre das Gesellschaftsstatut der übernehmenden Gesellschaft zu beachten. So könnte man daran denken, auf Seiten der aufnehmenden Gesellschaft einen Gesellschafterbeschluss zu fordern, indem man aus dem Erfordernis eines Verschmelzungsbeschlusses für eine entsprechende nationale Verschmelzung eine Einschränkung der Vertretungsbefugnis des gesellschaftlichen Vertretungsorgans für den Abschluss des Verschmelzungsvertrags ableitet oder sich auf eine "Holzmüller-Doktrin" beruft. Dies gilt vor allem dann, wenn man von der alleinigen Maßgeblichkeit des Gesellschaftsstatuts selbst dann ausgeht, wenn die Maßnahme bei der aufnehmenden Gesellschaft mit einer Kapitalerhöhung verbunden ist. Dazu ist aber keine Anwendung der Kombinationslehre erforderlich, denn Umfang und Grenzen der Vertretungsbefugnis des Geschäftsführers ergeben sich ohnehin immer aus dem Gesellschaftsstatut der GmbH, in deren Namen gehandelt wird.