Rz. 7
Vorrangig vor den nationalen "autonomen" kollisionsrechtlichen Regelungen sind gem. Art. 3 Nr. 2 EGBGB stets Regelungen in völkerrechtlichen Vereinbarungen, soweit sie unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht geworden sind (also ordnungsgemäß durch Beschluss des Bundestages ratifiziert worden sind), anwendbar. Zwar ist das internationale Gesellschaftsrecht in Deutschland immer noch nicht kodifiziert. Die Vorrangregel in Art. 3 Nr. 2 EGBGB gilt aber ebenso – besser noch: erst recht – für ungeschriebene Regeln des durch die Rechtsprechung herausgebildeten Kollisionsrechts.
Rz. 8
Einige bilaterale Handels- und Niederlassungsabkommen der Bundesrepublik Deutschland enthalten Vorschriften, aus denen sich die Verpflichtung Deutschlands zur Anerkennung im anderen Abkommensstaat gegründeter Gesellschaften ergibt. Bislang einziger gerichtlich anerkannter und praktisch bedeutsamer Fall ist Art. XXV des Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrags vom 29.10.1954 mit den USA:
Zitat
Art. XXV
(1)–(4) …
(5) Der Ausdruck "Gesellschaften" in diesem Vertrag bedeutet Handelsgesellschaften, Teilhaberschaften sowie sonstige Gesellschaften, Vereinigungen und juristische Personen; dabei ist es unerheblich, ob ihre Haftung beschränkt oder nicht beschränkt und ob ihre Tätigkeit auf Gewinn oder nicht auf Gewinn gerichtet ist. Gesellschaften, die gemäß den Gesetzen und sonstigen Vorschriften des einen Vertragsteils in dessen Gebiet errichtet sind, gelten als Gesellschaften dieses Vertragsteils; ihr rechtlicher Status wird in dem Gebiet des anderen Vertragsteils anerkannt.
Rz. 9
In einem Staat der USA errichtete Gesellschaften sind also in Deutschland auf der Basis der Gründungstheorie unter Zugrundelegung des Rechts des Gliedstaates, in dem die Gesellschaft errichtet (inkorporiert) worden ist, anzuerkennen. Umstritten ist, ob dies auch dann gilt, wenn die Gesellschaft außer der Gründung keine tatsächlichen Beziehungen zu den USA unterhält, sondern sämtliche Aktivitäten im Inland entfaltet. In der Literatur wird insoweit von einzelnen Autoren zusätzlich ein sog. genuine link zu den USA gefordert. Freilich ist fraglich, ob dieses aus dem Völkerrecht stammende und bislang vom Internationalen Gerichtshof einmalig im Fall "Nottebohm" eingesetzte Argument sich überhaupt verallgemeinern und auf den Bereich des Zivilrechts übertragen lässt. In der neueren Literatur wird dies mit guten Gründen überwiegend abgelehnt. Darüber hinaus kann diesem Kriterium aber keine praktische Bedeutung zukommen. Um nicht schon die Sitztheorie durch die Hintertür wieder einzuführen, müssen für das Vorliegen eines genuine link selbst untergeordnete faktische Beziehungen zum Gründungsstaat genügen, soweit sie nur über rein formale Aspekte hinausgehen. Schon um ihre Löschung im Gründungsstaat zu verhindern, muss eine Kapitalgesellschaft in den USA im jeweiligen Gründungsstaat immer einige Aufgaben erfüllen. Sie muss dort ihren statutarischen Sitz nehmen, die Registrierung im Handelsregister aufrechterhalten, eine Zustelladresse vorweisen, Steuererklärungen abgeben, eine Person als registered agent beauftragen etc. Ein fehlendes genuine link ist daher bei einer ordnungsgemäß geführten US-Gesellschaft – selbst wenn es sich um eine reine Briefkastengesellschaft nach dem Recht von Delaware oder New York handelt – praktisch nicht vorstellbar.
Rz. 10
Vergleichbare bilaterale Abkommen mit Spanien, Irland und den Niederlanden sind zwischenzeitlich jedenfalls durch die vom EuGH begründete europarechtliche Gründungstheorie (siehe Rdn 14 f.) überlagert worden. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob sich aus ihnen überhaupt eine konstitutive Anerkennungsnorm ergibt.
Rz. 11
Eine Vielzahl von Kapitalschutzabkommen enthält eine Definition dahingehend, dass als "Gesellschaften" im Sinne des Abkommens in Deutschland im Verhältnis zu dem anderen Vertragsstaat alle juristischen Personen gelten, die dort nach den dortigen Rechtsvorschriften gegründet und anerkannt werden.
Rz. 12
Entsprechende Klauseln enthalten Abkommen mit den Staaten Antigua und Barbuda, Bolivien, Burkina Faso, VR China, Dominikanischer Bund, Ghana, Guyana, Honduras, Hongkong, Indien, Indonesien, Jamaika, Jemen, Kambodscha, Kamerun, Katar, Kongo (Zaire), Korea (Republik), Kroatien, Kuba, Lesotho, Liberia, Malaysia, Mali, Mauritius, Nepal, Oman, Pakistan, Papua-Neuguinea, Rumänien, Senegal, Serbien-Montenegro, Singapur, Somalia, Sri-Lanka, St. Lucia, St. Vincent and the Grenadines, Sudan, Swasiland, Tansania, Tschad und die Zentralafrikanische Republik.
Rz. 13
Freilich fehlt in diesen Abkommen eine ausdrückliche Verpflichtung dahingehend, dass diese Gesellschaften auch anzuerkennen sind – wie es im Schifffahrtsvertrag mit den USA der Fall ist. Nach weit überwiegender Auffassung werden Gesellschaften aus diesen Staaten daher in Deutschland allenfalls dann anerkannt, wenn sie ihren effektiven Verwaltungssitz im Ausland haben (also in dem jeweils anderen Abkommensstaat ode...