Rz. 19
Der Rechtsanwalt oder die Rechtsanwältin gibt der Kanzlei ihr Gepräge. Erst durch ihn oder sie wird das Büro zur Anwaltskanzlei. Rechtlich sind Rechtsanwälte einerseits Interessenvertreter ihrer Mandanten, an die sie über Geschäftsbesorgungsverträge (Sonderform des Dienstvertrags, §§ 611 ff., 675 BGB) gebunden sind. Ein Rechtsanwalt hat die rechtlichen Interessen seines Mandanten wahrzunehmen und ggf. in einem rechtsförmlichen Verfahren soweit wie möglich durchzusetzen. Es sind jedoch nicht nur die Interessen des Mandanten, die ein Anwalt zu beachten hat. Der Rechtsanwalt ist nämlich nach den Vorschriften der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) in erster Linie unabhängiges Organ der Rechtspflege. In dieser Funktion bildet er mit Gerichten und Staatsanwaltschaften die Rechtspflege, für die er dieselbe Verantwortung wie die übrigen Organe trägt. Ein Rechtsanwalt hat damit seine Tätigkeit so auszuführen, dass das Interesse der Öffentlichkeit an einer den rechtsstaatlichen Grundsätzen genügenden Rechtspflege gewahrt bleibt. Dies führt zu bestimmten Einschränkungen des Anwalts gegenüber den Interessen seines Mandanten. So soll ein Rechtsanwalt mit Gerichten und Staatsanwaltschaften in gegenseitigem Vertrauen und Respekt zusammenarbeiten. Er darf im Zivilverfahren nicht wissentlich falsche Tatsachen vortragen. Dies würde dem Gebot der wahrheitsgemäßen Erklärung im Zivilprozess, in dem es keine Amtsermittlung durch das Gericht gibt und dessen Ausgang stark von Beweislastregeln abhängt, widersprechen. Der Anwalt würde sich sogar möglicherweise wegen (versuchten) Prozessbetruges strafbar machen, trüge er wissentlich Falsches vor. Anderseits darf der Anwalt als Strafverteidiger sehr wohl wahrheitswidrig die Schuld seines Mandanten bestreiten. Grund hierfür ist, dass ein Angeklagter nicht verpflichtet ist, sich selbst zu belasten. Er darf sich darüber hinaus sogar durch Lügen entlasten. Dem muss sein Verteidiger nicht entgegentreten, da im Strafverfahren der Staat den Nachweis kriminellen Handelns durch den Angeklagten zu führen hat.
Rz. 20
Das Verhältnis des Mandanten zu seinem Rechtsanwalt als Organ der Rechtspflege ist vor staatlichem Einfluss geschützt. So ist der Rechtsanwalt zur Verschwiegenheit über das Mandatsverhältnis verpflichtet, § 43a Abs. 2 BRAO (Bundesrechtsanwaltsordnung), § 2 BORA (Berufsordnung der Rechtsanwälte), solange er nicht von seiner Verpflichtung durch den Mandanten entbunden ist. Das Recht und die Pflicht zur Verschwiegenheit beziehen sich auf alles, was dem Rechtsanwalt in Ausübung seines Berufs bekannt geworden ist und bestehen nach Beendigung des Mandats fort, § 2 Abs. 2 BORA. Vorsicht ist sogar dann geboten, wenn eine Kanzleidurchsuchung erfolgt (z.B. weil ein Mandant der Steuerhinterziehung verdächtigt wird). Der Anwalt darf Akten nicht ohne Widerspruch herausgeben. Denn gibt er freiwillig Akten heraus, kann er sich ebenfalls wegen des Verstoßes gegen die Verschwiegenheitspflicht strafbar machen. Sein Widerspruch ist im Durchsuchungsprotokoll aufzunehmen.
Rz. 21
Ein Verstoß gegen die Verschwiegenheitsverpflichtung ist nach § 2 Abs. 3 BORA nicht gegeben, soweit das Verhalten des Rechtsanwalts
a) |
mit Einwilligung erfolgt oder |
b) |
zur Wahrnehmung berechtigter Interessen erforderlich ist, z.B. zur Durchsetzung oder Abwehr von Ansprüchen aus dem Mandatsverhältnis oder zur Verteidigung in eigener Sache, oder |
c) |
im Rahmen der Arbeitsabläufe der Kanzlei einschließlich der Inanspruchnahme von Leistungen Dritter erfolgt und objektiv einer üblichen, von der Allgemeinheit gebilligten Verhaltensweise im sozialen Leben entspricht (Sozialadäquanz). Diese Bestimmung des Absatzes 3 in § 2 BORA ist insbesondere in Vergütungsprozessen oft von großer Bedeutung. |
Rz. 22
Gibt ein Anwalt darüber hinaus ohne eine Entbindung von der Schweigepflicht Auskünfte, macht er sich möglicherweise wegen Geheimnisverrats gem. § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB strafbar. Dem entspricht es, dass ein Rechtsanwalt bei Gericht und Staatsanwaltschaft ein Auskunftsverweigerungsrecht hat, also als Zeuge keine Angaben machen muss. Da dieser Schutz des Mandatsverhältnisses vor staatlichen Eingriffen natürlich durch die Vernehmung der Mitarbeiter oder die Beschlagnahme der anwaltlichen Handakte unterlaufen werden könnte, gilt das Auskunftsverweigerungsrecht auch für die Mitarbeiter des Anwalts.
Rz. 23
Der Rechtsanwalt hat seine Mitarbeiter und alle sonstigen Personen, die bei seiner beruflichen Tätigkeit mitwirken, zur Verschwiegenheit ausdrücklich zu verpflichten und anzuhalten, § 2 Abs. 4 BORA.
Rz. 24
Die Verschwiegenheitspflicht trifft nicht nur die ständigen Mitarbeiter oder Beschäftigten, sondern auch solche, die nur sporadisch oder in anderem Auftrag in der Kanzlei tätig sind. Es wird insbesondere auf EDV-Fachleute hingewiesen. In nur seltenen Fällen muss ein EDV-Fachmann, der Probleme an der Computeranlage beheben soll, in der Praxis eine Verschwiegenheitsverpflichtungserklärung unterschreiben. Dabei erhält er intensiven Einblick in all...