§ 1 Der Minderjährige als Testator und als Widerrufender
Rz. 1
Der Minderjährige, der das 16. Lebensjahr vollendet hat, kann gemäß § 2229 Abs. 1 BGB ein Testament errichten. Er bedarf dazu nicht der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters (§ 2229 Abs. 2 BGB). Ein geschäftsunfähiger Minderjähriger (§ 104 Nr. 2 BGB) kann auch dann nicht testieren, wenn er 16 Jahre alt ist. Der minderjährige Testator, also zwischen 16 und 18 Jahren, kann sein Testament aber nicht in der privatschriftlichen Form (§ 2247 Abs. 4 BGB) errichten, er muss vielmehr die Form des sog. öffentlichen Testaments wählen. Von den möglichen Formen des öffentlichen Testaments (vgl. § 2232 BGB) ist dem Minderjährigen die Form der Übergabe einer verschlossenen Schrift verwehrt, er muss vielmehr das notarielle Testament durch mündliche Erklärung oder durch Übergabe einer offenen Schrift errichten (§ 2233 Abs. 1 BGB). Aus dem Sinn dieser Regelung, die Beratung des minderjährigen Testators durch einen Notar sicherzustellen, folgt, dass bei Übergabe einer offenen Schrift durch den Minderjährigen dieser sich einer Sprache bedient haben muss, die der Notar lesen kann und die er beherrscht. Nach § 34 Abs. 1 S. 4 BeurkG hat der Notar das Testament in amtliche Verwahrung zu geben. Ein unter Verletzung der Altersgrenze errichtetes Testament ist nichtig, wird also nicht durch das Erreichen der Altersgrenze von Seiten des Testierenden gültig.
Rz. 2
Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen können nur noch Volljährige heiraten (§ 1303 S. 1 BGB n.F.), und nur miteinander verheiratete Personen können ein gemeinschaftliches Testament abfassen (§ 2265 BGB). Das war bis zum 22.7.2017 anders. Das Familiengericht konnte vom Erfordernis der Volljährigkeit Befreiung erteilen, wenn der Antragsteller 16 Jahre alt war und sein künftiger Ehegatte volljährig war (§ 1303 Abs. 2 BGB a.F.). Solche vor dem 22.7.2017 mit einem Minderjährigen geschlossene Ehen bleiben wirksam. Ehegatten, bei denen einer minderjährig war, konnten auch vor dem 22.7.2017 kein gemeinsames eigenhändiges Testament (§ 2267 BGB) errichten, auch nicht, wenn der volljährige Teil die Schrift verfasst hat und der minderjährige Teil nur unterschrieben hat. Denn der Minderjährige konnte nur notarielle Testamente errichten. Zwar muss ein gemeinschaftliches Testament nicht notwendigerweise in einer Urkunde enthalten sein, aber im hier vorliegenden Fall genügte auch nicht die handschriftliche Erklärung des Volljährigen und die Erklärung des Minderjährigen vor dem Notar, dass die Erklärung des anderen Teils auch sein letzter Wille sei (siehe Rdn 1), vielmehr mussten – der Klarheit wegen – beide Gatten die notarielle Form wählen (siehe Rdn 1). Diese alten Testamente behalten ihre Wirksamkeit. Zum minderjährigen Verlobten siehe Rdn 7.
Rz. 3
Auch ein Minderjähriger kann sein gültig errichtetes Testament (siehe Rdn 1) widerrufen, weil er mit 16 Jahren testierfähig geworden ist (§ 2229 Abs. 1 BGB). Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Minderjährige nur in den zwei notariellen Testamentsformen des § 2233 Abs. 1 BGB (durch Erklärung gegenüber dem Notar oder durch Übergabe einer offenen Schrift) testieren kann, nicht aber die Form des privatschriftlichen Testaments (siehe Rdn 1). Deshalb kann der Widerruf des Testaments – wenn der minderjährige Testator noch immer minderjährig ist – auch nur in diesen zwei öffentlichen Testamentsformen vorgenommen werden. Bei volljährigen Testatoren gibt es noch die Möglichkeit des Widerrufs des Testaments durch die Veränderung der Testamentsurkunde, durch Zerreißen oder Durchstreichen der Urkunde (§ 2255 BGB). Das gilt aber nicht für öffentliche Testamente, die durch die amtliche Verwahrung (§ 34 BeurkG) dem Zugriff des Erblassers – auch wenn er inzwischen volljährig geworden ist – entzogen sind.
Ist der minderjährige Testator inzwischen volljährig geworden, so kann er das öffentliche Testament auch durch ein handschriftliches Widerruf-Testament (§§ 2254, 2247 BGB) widerrufen.
Man kann ein öffentliches Testament auch durch Rücknahme aus der amtlichen Verwahrung widerrufen (§ 2256 BGB). Auch dem (noch) Minderjährigen steht diese Form des Widerrufs offen. Da er eingeschränkt testierfähig ist (§ 2229 BGB), kann er also selbst auch das Testament ohne Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters aus der Verwahrung zurückfordern, es muss ihm persönlich zurückgegeben werden (§ 2256 Abs. 2 BGB). Sein gesetzlicher Vertreter ist nicht zur Rücknahme befugt.
Rz. 4
Ein gemeinschaftliches öffentliches Testament kann nur von beiden Gatten gemeinsam zurückgenommen werden (§ 2272 BGB); das gilt auch für das gemeinsame öffentliche Testament von Ehegatten, von denen einer beim Widerruf noch minderjährig ist (siehe Rdn 2) oder war.
Ein solcher Widerruf bleibt auch nach dem 22.7.2017 möglich, weil die Testierfähigkeit (§ 2229 Abs. 1 BGB) durch das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen vom 17.7.2017nicht geändert wurde, wenn auch Minderjährige nicht mehr heiraten können (§...