Rz. 46
Das Verbot der gemeinschaftlichen Verteidigung mehrerer Betroffener durch einen Verteidiger gilt auch im Bußgeldverfahren (BVerfGE 45, 272).
Rz. 47
Unzulässig ist die gemeinschaftliche Verteidigung in folgenden Fällen:
1. Dieselbe Tat
Rz. 48
Dieses Verteidigungsverbot gilt auch dann, wenn in getrennten Verfahren gegen die Betroffenen wegen derselben Tat ermittelt wird und der Verteidiger in jedem Verfahren nur einen Betroffenen verteidigt (BVerfG NJW 1976, 231).
Rz. 49
Dieselbe Tat liegt wohl auch dann vor, wenn der erste Beschuldigte wegen Verletzung der Aufsichtspflicht nach § 130 OWiG und der zweite wegen einer zugrunde liegenden Zuwiderhandlung verfolgt wird, nicht aber bei gleichzeitiger Verteidigung des persönlich Betroffenen und der zugehörigen juristischen Person, § 30 OWiG (BVerfGE 45, 272).
Rz. 50
Tipp
Tatidentität ist nicht gegeben beim Führen eines Kraftfahrzeuges mit Sicherheitsmängeln (oder ohne Fahrerlaubnis) und Anordnen bzw. Zulassen der Fahrt durch den Halter, so dass die Verteidigung von Fahrer und Halter in gleichzeitig laufenden (nicht verbundenen) Verfahren durch einen Verteidiger zulässig ist (LG Hamburg NZV 1990, 325; LG Verden DAR 1991, 113; LG Berlin DAR 2002, 91).
2. Verfahrensidentität
Rz. 51
Mit der Verfahrensverbindung wird die Verteidigung auch dann unzulässig, wenn es sich um verschiedene Taten handelt. Eine zum Ausschluss des Verteidigers führende Verfahrensverbindung kann allerdings ermessensmissbräuchlich sein. Auch bei Tat- oder Verfahrensidentität bleibt die Verteidigung dann zulässig, wenn die Sozietät mehrere Beschuldigte (die Sozien jedoch jeweils einen anderen Beschuldigten) verteidigt (BVerfGE 45, 272).
Rz. 52
Tipp
Sukzessive Mehrfachverteidigung, d.h. Verteidigung, bei der die einzelnen Mandate vom Verteidiger zeitlich nacheinander ausgeübt werden, ist seit dem Strafverfahrensänderungsgesetz von 1987 zulässig.
Rz. 53
Das Verteidigerverhältnis zum früher verteidigten Betroffenen muss rechtlich beendet sein, z.B. durch Kündigung des Mandanten oder Niederlegung des Mandates durch den Verteidiger. Eine entsprechende Erklärung des Verteidigers reicht aus (OLG Karlsruhe NStZ 1988, 567). Die Rechtskraft der Bußgeldentscheidung oder die vorgerichtliche Einstellung des Verfahrens sollen dagegen nicht ausreichen (str.).
3. Verteidigung mehrerer Beschuldigter durch Mitglieder einer Sozietät
Rz. 54
Wenn auch die Verteidigung mehrerer Beschuldigter durch Mitglieder einer Sozietät unstreitig nicht unter § 356 StGB fällt, ist umstritten, ob eine solche gemeinsame Verteidigung nicht gegen Berufsrecht (§ 43a Abs. 4 BRAO) verstößt. Wenn das Interesse der Beschuldigten gleich gerichtet ist, scheidet auch ein Verstoß gegen das Berufsrecht aus. Selbst dann, wenn ein Interessenwiderstreit nicht auszuschließen ist, müsste die Verteidigung bei verfassungskonformer Auslegung berufsrechtlich zulässig sein. Auf keinen Fall spricht es aber für einen guten Stil der Kanzlei, wenn in Fällen eines Interessenwiderstreites beide Angeklagten von derselben Kanzlei verteidigt werden.