Julian Backes, Sven Eichler
Rz. 1099
Im Gegensatz zu anderen digitalen Messverfahren werden beim ES3.0 die Rohmessdaten in der jeweiligen Falldatei abgespeichert, so dass eine nachträgliche und vom Messgerät unabhängige Berechnung der Geschwindigkeit erfolgen kann.
Zur geräteinternen Auswertung der aufgezeichneten Rohmessdaten ("Helligkeitsverläufe") ergeben sich anhand der Beschreibung in der Gerätezulassung und Gebrauchsanweisung keine konkreten Hinweise. Es wird lediglich beschrieben, dass die digitalisierten Helligkeitsprofile über eine Korrelationsrechnung ausgewertet werden, um den zeitlichen Versatz der Signalverläufe zu ermitteln.
Da die Rohmessdaten die Grundlage für die Berechnung der Geschwindigkeit bilden, sind für eine sachverständige Überprüfung des vorgeworfenen Messwertes jedoch auch keine weitergehenden Informationen bzgl. der geräteinternen Auswertung erforderlich. Durch die sachverständige Auswertung der Rohmessdaten ist eine unabhängige Überprüfung des vorgeworfenen Messwertes nach dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik möglich.
Der Sachverständige kann hierbei seine Auswertung dem Gericht nachvollziehbar darlegen. Eine Offenlegung der Rechenoperationen des Geräteherstellers ist insofern nicht erforderlich. Sofern bei der Auswertung der Rohmessdaten durch den Sachverständigen Abweichungen gegenüber dem vorgeworfenen Geschwindigkeitswert aufgezeigt werden, bleibt es dem Hersteller und der PTB überlassen, ob sie in eine entsprechende Diskussion einsteigen wollen.
Rz. 1100
Die unabhängige Auswertung der Rohmessdaten durch Sachverständige hat beim ES3.0 gezeigt, dass bei der geräteinternen Auswertung nicht die gesamte Datenmenge (Helligkeitsprofil) herangezogen wird, sondern Teilbereiche selektiert werden. Umfang und Auswahl des herangezogenen Datenbereichs sind dabei nicht bekannt.
Rz. 1101
Eine Selektion von Teilbereichen ist aus technischer Sicht dann erforderlich, wenn Störfaktoren (z.B. Anteile der Fahrzeugräder) die Messwertbildung beeinflussen. Es ergeben sich aus technischer Sicht allerdings keine nachvollziehbaren Gründe, neben erkennbaren Störfaktoren im Messsignal weitergehende Signalanteile bei der Auswertung zu vernachlässigen.
Durch den Entwicklungsleiter des Geräteherstellers wurde im Rahmen einer richterlichen Vernehmung bzgl. der Selektion von Teilbereichen im Messsignal angegeben, dass dem Messgerät zur Bildung eines gültigen Geschwindigkeitswertes "ein Peak genügt". Konkrete Angaben zur Länge des ausgewerteten Datenbereichs erfolgten allerdings nicht. Zur Höhe der erforderlichen Signalgüte (Korrelationskoeffizient) wollte/konnte der Entwicklungsleiter im Rahmen der Vernehmung ebenfalls keine entsprechenden Informationen preisgeben.
Dass dem Messgerät zur Bildung eines gültigen Geschwindigkeitswertes u.U. eine sehr geringe Datenmenge genügt, war aufgrund mehrerer Auswertungen von Rohmessdaten bereits anzunehmen. Welche technischen Probleme sich hierdurch bei der Auswertung der Rohmessdaten ergeben können, wird anhand von Fallbeispielen ab Rdn 1104 gezeigt.
Auf das o.g. Urteil des AG Meißen erfolgte eine bzw. auch eine zweite, offenbar überabeitete Stellungnahme der PTB. Entgegen der ausführlichen Darstellungen der PTB bezüglich der im Urteil des AG Meißen nicht korrekt angegebenen Abtastrate des ES3.0 werden zur erforderlichen Länge des Datenbereichs ebenfalls keine konkreten Angaben gemacht. Anhand der Stellungnahmen hat sich jedoch auch gezeigt, dass die PTB den Gütefaktor (erforderlicher Korrelationskoeffizient bei der geräteinternen Auswertung) offenbar nicht geprüft hat. In der zweiten, überarbeiteten Stellungnahme heißt es hierzu:
Zitat
"In der Vergangenheit wurde der Schwellwert für den Korrelationsgrad – auch von der PTB – des Öfteren fälschlicherweise mit 95 % angegeben. Dieser Wert diente allerdings in erster Linie der Veranschaulichung der Funktionsweise der Filteralgorithmen und wurde so von Seiten des Herstellers öffentlich kommuniziert."
Rz. 1102
Erst "aktuelle Diskussionen" von Sachverständigen nahm die PTB zum Anlass "diesen Wert noch einmal im Detail zu prüfen", wobei gemäß der Stellungnahme durch Prüfung des Quellcodes für den Korrelationsgrad ein Wert von 92 % verifiziert wurde.
Interessant ist dies insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass für sich die PTB gemäß der Stellungnahme "nicht erschließt", warum die im Verfahren vor dem AG Meißen beteiligten Sachverständigen einen Gütefaktor von 70 % ansetzen. Hierzu heißt es weiter in der Stellungnahme der PTB:
Zitat
Schließlich hängt es vom technischen Einsatzgebiet ab, was als hinreichend gute Korrelation anzusehen ist und was nicht; so mag es technische Bereiche geben, wo 70 % Korrelationsgrad ausreichen. Zum erhöhten Schutze des Betroffenen vor Fehlmessungen wird jedenfalls vom Gerät ES3.0 ein deutlich höherer Korrelationsgrad gefordert, bevor die entsprechenden Teile des Messsignals zur Bildung eines Geschwindigkeitswertes verwendet werden.
Rz. 1103
Die Überprüfung von alten Messdateien durch die VUT hat diesbezüglich allerdings ge...