Rz. 1

Der Verteidiger, der seinen Mandanten im Ordnungswidrigkeitenverfahren (OWi-Verfahren) bezüglich eines Geschwindigkeits-, Abstands- oder Rotlichtverstoßes vertritt steht immer wieder vor derselben Frage:

Zitat

"Ist es sinnvoll für die Bewertung einer konkreten Messung einen Sachverständigen hinzuziehen?"

 

Rz. 2

Um eine befriedigende Antwort auf diese Frage zu geben, ist eine Auseinandersetzung mit dem Begriff des standardisierten Messverfahrens, wie er von der obergerichtlichen Rechtsprechung geprägt wurde unerlässlich. Darüber hinaus muss man sich allerdings auch darüber klar werden, welche Fragen ein Sachverständiger tatsächlich beantworten kann und welche Aspekte einer behördlichen Messung überhaupt einer Überprüfung zugänglich sind.

 

Rz. 3

Dabei ist zunächst zu beachten, dass es bei ca. 60 unterschiedlichen Messverfahren, die in der Verkehrsüberwachungspraxis in Deutschland zur Anwendung kommen, kaum ein Verfahren gibt, bei dem die Funktionsweise vollständig bekannt ist oder sich der Messablauf aus dem Beweismittel heraus nachvollziehen lässt.

 

Rz. 4

Stellt man sich die Frage welche Möglichkeiten der technische Sachverständige überhaupt hat, ein Messverfahren bis ins Detail zu überprüfen überrascht die Fülle an Hintergrundwissen, das in manchen Sachverständigengutachten und Publikationen vorgegeben wird. Grund für diese Verwunderung ist, dass die überwiegende Zahl der Gerätehersteller die exakten Abläufe von Messungen wie ihren Augapfel hüten.

 

Rz. 5

Bei Lichtschrankenmessungen und Piezomessungen werden "exakte Fotopositionen" zur Begründung korrekter Messabläufe herangezogen, "Ergebnisse eigener Versuchsreihen" werden zum Ausschluss von Reflexionsmessungen bei Radarmessungen vorgebracht und immer wieder ist festzustellen, dass vereinzelte Sachverständige sogar den Versuch unternehmen die in Gebrauchsanweisungen des Geräteherstellers oder durch die Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) beschriebenen Fehlermöglichkeiten zu widerlegen.

 

Rz. 6

Hier bewegt sich der Sachverständige auf sehr unsicherem Terrain. Sicherlich gibt der Hersteller – und teilweise ist dies auch aus Beobachtungen sowie grundlegenden technischen Kenntnissen nachzuvollziehen – das Messprinzip bekannt. Mit diesem Wissen und vorgegebenen Standards in der Dokumentation der Messung (Beweismittel) sind somit Plausibilitätsprüfungen möglich, in den seltensten Fällen jedoch korrekte Prüfungen von Messergebnissen im Sinne einer wissenschaftlichen Wahrheit. Korrekt nachvollziehbare Prüfungen sind z.B. bei Videoaufzeichnungen möglich: vorgegebene Ausbreitungsgrößen und die Bildlaufzeiten der Einzelbilder lassen sowohl Geschwindigkeits- als auch Abstandsberechnungen zu.

 

Rz. 7

Die Frage bleibt, wann eine solche Überprüfung überhaupt juristisch angezeigt ist, wo doch die Antwort im Konstrukt des "standardisierten Messverfahrens" zu finden ist.

1. Das standardisierte Messverfahren in der Rechtsprechung des BGH

a) Begriff

 

Rz. 8

Der Begriff des standardisierten Messverfahrens hat in der verkehrsrechtlichen Rechtsprechung eine erhebliche Bedeutung. Ist ein Messergebnis im Rahmen eines standardisierten Messverfahrens ermittelt worden, hat dies unmittelbare Auswirkungen auf die Begründungsanforderungen, denen ein Urteil in Bußgeldsachen zu genügen hat.[1]

 

Rz. 9

Den Begriff des standardisierten Messverfahrens hat der BGH in seinem Beschl. v. 30.10.1997 (BGH 4 StR 24/97) wie folgt erläutert:

Zitat

"Ergänzend weist der Senat darauf hin, daß der in der Entscheidung vom 19.8.1993 verwendete Begriff "standardisiertes (Meß-)Verfahren" (...) nicht bedeutet, daß die Messung in einem voll automatisierten, menschliche Handhabungsfehler praktisch ausschließenden Verfahren stattfinden muß. Vielmehr ist hierunter ein durch Normen vereinheitlichtes (technisches) Verfahren zu verstehen, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, daß unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (...). Diese Anforderungen werden (...) grundsätzlich auch Lasermeßverfahren gerecht, bei denen die Geschwindigkeitsmessung von besonders geschultem Meßpersonal unter Beachtung der Betriebsanleitung des Geräteherstellers und der Zulassungsbedingungen der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt durchgeführt wird (...)."

 

Rz. 10

Neben der Zulassung durch die PTB und Eichung durch die zuständige Eichbehörde ist auch die standardgemäße Durchführung des Messverfahrens notwendig.

Inwiefern auch eine Konformitätsbewertung nach dem neuen Mess- und Eichgesetz Grundlage für die Anerkennung eines Messverfahrens als standardisiertes Messverfahren sein kann, bleibt abzuwarten. Der Arbeitskreis V des 54. Verkehrsgerichtstags in Goslar hat diesbezüglich die Empfehlung ausgesprochen, die Rechtsprechung des BGH zunächst nicht anzuwenden, sondern abzuwarten, bis sich auch konformitätsbewertete Messgeräte über einen gewissen Zeitraum in der Praxis bewährt haben.[2]

Für die Durchführung eines Messverfahrens als standardgemäß, ist es jedenfalls maßgeblich, dass das Messpersonal eine entsprechende Schulung vorzuweisen hat. Ist eine solche Schulu...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?