Julian Backes, Sven Eichler
Rz. 1856
Der zweite Anspruch an einen korrekten Tatvorwurf ist, dass das menschliche Handeln in Einklang mit der Verkehrsbeschilderung steht.
Rz. 1857
Hier kommt es oft zu dem "Teufelskreis", dass dem behördlichen Personal eventuelle Fehler nicht bewusst sind und die nötigen Hinweise dementsprechend auch nicht in die Akte einfließen.
Rz. 1858
Das folgende Beispiel eignet sich gut als "Verknüpfung" eines schlecht positionierten Verkehrszeichens und einer unaufmerksamen Arbeitsweise des Messpersonals, das keine Angaben zur damaligen Erkennbarkeit der Verkehrsbeschilderung geleistet hat.
Folgende Abbildung zeigt zunächst den Beginn einer Eisenbahnbrücke, zu deren Beginn auf der rechten Seite eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h (mit dem Zusatz "Licht an!") beschildert wird. Hinter der Brücke befand sich seinerzeit ein Messposten und ermittelte durch eine Messung mit einem Handlaser (vgl. Rdn 740 ff.) eine Geschwindigkeitsüberschreitung.
Abbildung 12: Verortung der Verkehrsbeschilderung und des Standorts des Messpostens. Quelle: eigene Aufnahme VUT
Rz. 1859
Anhand der im Messprotokoll geleisteten Angaben war der damalige Standort des Messpostens im Ergebnis eines Ortstermins hinreichend genau nachzuvollziehen und ließen sich die messrelevanten Umstände wie folgt rekonstruieren:
Abbildung 13: Darstellung der messrelevanten Umstände; Kartengrundlage: Google Earth
Rz. 1860
Bei dem Ortstermin konnte jedoch auch festgestellt werden, dass die zugrunde gelegte Verkehrsbeschilderung am Ende einer Haltebucht montiert war und regelmäßig durch kurzzeitig haltenden oder (während Pausen) sogar längerfristig parkenden Busverkehr verdeckt wurde.
Abbildung 14: Verdeckung der 30 km/h (im Bereich des weißen Kringels) durch einen parkenden Bus. Quelle: VUT Messstellendatenbank
Rz. 1861
Sollte ein mit der vorherigen Abbildung vergleichbarer Zustand auch zum Zeitpunkt der Messung vorgelegen haben, dann war es dem Verkehrsteilnehmer mitunter nicht möglich, die behördlich angebrachte Verkehrsbeschilderung überhaupt zu erkennen.
Rz. 1862
Dieser Umstand ist insbesondere vor dem Hintergrund zu würdigen, dass sich die Beschilderungskonstellation vor dem Umbau der Haltestelle noch gänzlich anders dargestellt hat. Damals wurde die Begrenzung auf 30 km/h vor der Haltebucht und damit dem Gefahrenbereich durch querende Fußgänger vorgenommen, während sie nach dem Umbau nur noch hinter der Haltestelle und damit nach dem Durchfahren eines nachvollziehbaren Gefahrenbereiches montiert ist.
Gleichermaßen wurde die Geschwindigkeitsbegrenzung ursprünglich beidseitig beschildert, so dass sie auch bei rechts fahrenden/haltenden Bussen erkennbar war.
Die neue Beschilderungskonstellation mit einem hinter der Bushaltestelle und ausschließlich rechts montierten Verkehrszeichen provoziert hingegen eine Verdeckung durch haltende oder parkende Busse und stellt insofern eine deutliche Verschlechterung der Verkehrssicherheit sowie gleichzeitig eine Benachteiligung eventuell sanktionierter Verkehrsteilnehmer dar.
Abbildung 15: ursprüngliche Beschilderungskonstellation vor dem Umbau der Bushaltestelle. Quelle: Google Street View
Rz. 1863
Die nächsten Beispiele zeigen, dass selbst bei absolut erkennbaren Verkehrsbeschilderungen "Messfehler" auftreten können, wenn der Faktor Mensch dem Tatvorwurf falsche Gegebenheiten zugrunde legt.
Im folgenden Bild passiert der Verkehrsteilnehmer eine Kombination aus Gefahrenzeichen ("Achtung Linkskurve") und einer Begrenzung auf 70 km/h.
Abbildung 16: Kombination aus VZ 103–10 (Kurve links) und VZ 274–70
Rz. 1864
In Anlage 2 StVO heißt es diesbezüglich:
Zitat
"Das Ende einer streckenbezogenen Geschwindigkeitsbeschränkung oder eines Überholverbots ist nicht gekennzeichnet, wenn das Verbot nur für eine kurze Strecke gilt und auf einem Zusatzzeichen die Länge des Verbots angegeben ist. Es ist auch nicht gekennzeichnet, wenn das Verbotszeichen zusammen mit einem Gefahrzeichen angebracht ist und sich aus der Örtlichkeit zweifelsfrei ergibt, von wo an die angezeigte Gefahr nicht mehr besteht. Sonst ist es gekennzeichnet durch die Zeichen 278 bis 282."
Das Ende des Gefahrenbereiches ist hier ganz konkret definiert und hinter der Kurve darf wieder die außerörtliche Regelgeschwindigkeit von 100 km/h wahrgenommen werden.
Dem Messpersonal war dieser Umstand nicht bekannt, weshalb die Messstelle erst hinter der anschließenden Geraden innerhalb der nächsten Rechtskurve eingerichtet wurde; durch die fälschlicherweise auf die Überwachung von 70 km/h abzielende Maßnahme kam es reihenweise zur Verfolgung normentreu agierender Verkehrsteilnehmer.
Abbildung 17: Streckenverlauf hinter dem Ende der Linkskurve
Abbildung 18: Verortung der Überwachung von 70 km/h im 100 km/h-Bereich
Rz. 1865
Eine dritte häufige Fehlerquelle stellt die Messung vor oder hinter der unterstellten Geschwindigkeitsbegrenzung dar.
Abbildung 19 zeigt eine aus einem Verfahren entnommene und nachträglich anonymisierte Messliste einer Messung mit dem Riegl FG21-P. Demnach wurden drei Verkehrs...