Dr. iur. Christian Saueressig
Rz. 13
Die Verletzung von Verfahrensvorschriften, auf deren Einhaltung eine Partei verzichten kann, kann nicht mehr gerügt werden, wenn der Mangel nicht bis zur nächsten mündlichen Verhandlung geltend gemacht worden ist, § 295 ZPO. Auch hier ist wieder die Antragstellung der maßgebliche Zeitpunkt. Die sogenannte rügelose Einlassung mit der Wirkung des Verlustes des Rügerechts ist aber nur von Relevanz, wenn der Rechtsmangel nicht schon von Amts wegen zu beachten ist, weil er unverzichtbare Verfahrensvorschriften betrifft (§ 295 Abs. 2 ZPO).
Das soll am Beispiel fehlender Zuständigkeit des Gerichts aufgezeigt werden:
Rz. 14
Liegt ein Fall ausschließlicher Zuständigkeit vor, etwa gemäß § 71 Abs. 2 Nr. 1 GVG die Zuständigkeit des Landgerichts für Amtshaftungsklagen, so kann sich aus dem Nichtrügen des Beklagten nicht die Zuständigkeit des Amtsgerichts ergeben, wenn dort die Klage erhoben worden ist.
Anders verhält es sich, wenn beim Amtsgericht eine Klage mit einem Streitwert von mehr als 5.000 EUR erhoben wird, für die das Amtsgericht an und für sich nicht zuständig ist, § 23 Nr. 1 GVG. Hier wird die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts gemäß § 39 ZPO begründet, wenn der Beklagte nicht rechtzeitig widerspricht. Der Amtsrichter muss allerdings von Amts wegen auf die Rechtsfolgen der rügelosen Einlassung hinweisen, § 504 ZPO.
Rz. 15
Hat es eine Prozesspartei versäumt, einen Verfahrensfehler rechtzeitig zu rügen, kann sie auf diesen Verfahrensfehler nicht ihre Berufung stützen, § 534 ZPO: Der Rügeverlust erster Instanz wirkt im Berufungsverfahren fort. Sie kann also in diesem Fall – z.B. – nicht mit Erfolg geltend machen, das erstinstanzliche Gericht habe ein unzulässiges Beweismittel verwertet, die Klage sei nicht wirksam zugestellt (außer bei Notfristen) oder bei der Beweiserhebung sei der Unmittelbarkeitsgrundsatz verletzt.
Die Verwirkung eines Rechts durch rügeloses Einlassen scheidet allerdings aus, wenn das Gericht von Amts wegen gehalten war, aktiv zu werden.
Vgl. dazu den Fall einer fehlerhaften Ermessensausübung wegen unterlassener Ladung des Sachverständigen zur Gutachtenerläuterung, wobei die Partei es versäumt hatte, die Anhörung des Sachverständigen zu seinem Gutachten zu beantragen,
OLG Zweibrücken VersR 1998, 1114, 1115:
Zitat
Da das Erstgericht schon aufgrund pflichtgemäßer Ermessensausübung, d.h. auch ohne den im genannten Schriftsatz gestellten Antrag der Kl. von Amts wegen verpflichtet war, den Sachverhalt weiter aufzuklären, konnte dieser Verfahrensverstoß nicht durch rügelose Einlassung der Kl. im nachfolgenden Termin geheilt werden. Wenn die ZPO ein Vorgehen des Gerichts von Amts wegen anordnet, ist dieser Bereich der Disposition der Parteien entzogen. Solche unverzichtbaren Verfahrensvorschriften sind einer Heilung durch rügelose Einlassung nicht zugänglich.
(Zur Anhörung des Sachverständigen vgl. § 5 Rdn 189.)
Die Heilung eines Verfahrensmangels durch rügelose Einlassung scheidet auch dann aus, wenn eine Partei überhaupt erst in dem später erlassenen Urteil erkennen konnte, dass das Gericht verfahrensfehlerhaft handeln würde.
BGH NJW 1999, 363:
Zitat
Ein in der Anordnung einer Parteivernehmung liegender Verfahrensverstoß kann grundsätzlich noch in der Berufungsinstanz gerügt werden. Ein nach der Vernehmung erfolgtes rügeloses Einlassen steht der späteren Rüge nicht entgegen. (…)
Denn die Beantwortung der Frage, ob das LG von einer für eine Parteivernehmung nach § 448 ZPO erforderlichen gewissen Wahrscheinlichkeit der zu erweisenden Tatsache ausgehen konnte, hängt davon ab, wie das LG das Parteivorbringen und die anderen Beweismittel würdigt. Hierüber geben erst die Entscheidungsgründe Aufschluss. Eine verfahrensfehlerhafte Parteivernehmung nach § 448 ZPO ist daher ebenso zu behandeln wie ein Fehler bei der Urteilsfällung, von dem die Parteien bei der Schlussverhandlung noch keine Kenntnis haben können.
Grund hierfür ist, dass die Partei (oder ihr Prozessbevollmächtigter) den jeweiligen Mangel gekannt hat oder jedenfalls hätte kennen müssen, um das Schweigen zu einem Verfahrensmangel als rügelose Einlassung werten zu können. Wer allerdings nachträglich rügt, muss dartun, dass er den Mangel unverschuldet nicht kannte.