Rz. 1
BGH, Urt. v. 11.5.1971 – VI ZR 78/70, BGHZ 56, 163 = VersR 1971, 905
Zitat
BGB §§ 823 Abs. 1, 254, 846, 242, 847
1. Die seelische Erschütterung ("Schockschaden") durch die Nachricht vom tödlichen Unfall eines Angehörigen begründet einen Schadensersatzanspruch gegen den Verursacher des Unfalls nicht schon dann, wenn sie zwar medizinisch erfassbare Auswirkungen hat, diese aber nicht über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgehen, denen nahe Angehörige bei Todesnachrichten erfahrungsgemäß ausgesetzt sind. Der Schutzzweck des § 823 Abs. 1 BGB deckt nur Gesundheitsbeschädigungen, die nach Art und Schwere diesen Rahmen überschreiten.
2. Bei einer durch den Unfall eines Angehörigen seelisch vermittelten Gesundheitsschädigung ist, wenn den unmittelbar Verletzten ein Mitverschulden trifft, § 846 BGB auch nicht entsprechend anwendbar (Abweichung von RGZ 157, 11); es kommt aber nach §§ 254, 242 BGB eine Anrechnung des fremden Mitverschuldens in Betracht, weil die psychisch vermittelte Schädigung nur auf einer besonderen persönlichen Bindung an den unmittelbar Verletzten beruht.
a) Der Fall
Rz. 2
Der Ehemann der Klägerin wurde am 6.3.1965 im Alter von 64 Jahren durch den Personenkraftwagen des Beklagten tödlich verletzt. Mit der Klage verlangte die damals 50 Jahre alte Klägerin Ersatz für Gesundheitsschäden, die sie selbst gelegentlich des Unfalltodes des Ehemannes erlitten haben will. Das LG hat der Klage voll, das OLG hat ihr teilweise stattgegeben. Die zugelassene Revision des Beklagten führte zur Aufhebung und Zurückverweisung an das Berufungsgericht.
b) Die rechtliche Beurteilung
Rz. 3
Das Berufungsurteil war schon insoweit nicht haltbar, als es überhaupt eine durch die Unfallnachricht ausgelöste echte Gesundheitsstörung (vgl. BGH, Urt. v. 9.11.1965 – VI ZR 260/63, VersR 1966, 283, 285 ff.; OLG Freiburg JZ 1953, 709, 705) bei der Klägerin bejaht hatte.
Rz. 4
Das geltende Recht versagt bewusst – von hier nicht einschlägigen Sonderfällen abgesehen – einen Anspruch für Schäden durch zugefügten seelischen Schmerz, sofern dieser nicht wiederum eine Auswirkung der Verletzung des (eigenen) Körpers oder der (eigenen) Gesundheit ist. Mit dieser Entscheidung des Gesetzgebers ist es zwar vereinbar, dass ein selbstständiger Schadensersatzanspruch demjenigen zusteht, bei dem eine ungewöhnliche, "traumatische" Auswirkung des Unfallerlebens oder der Unfallnachricht sich in einer echten körperlichen oder geistig/seelischen Gesundheitsschädigung verwirklicht. Auch der Umstand, dass diese ungewöhnliche Erlebnisreaktion im Einzelfall nur auf der Grundlage einer vorgegebenen organischen oder seelischen Labilität möglich gewesen sein mag, dem Unfallerleben also nur eine auslösende Wirkung zukam, steht – unbeschadet der von der Rechtsprechung für die Sonderfälle der Zweckneurosen und der überholenden Ursächlichkeit entwickelten Grundsätze – der Anerkennung eines Schadensersatzanspruchs nicht entgegen. Andererseits gilt es zu beachten, dass nach allgemeiner Erkenntnis und Erfahrung ein starkes negatives Erlebnis, das Empfindungen wie Schmerz, Trauer und Schrecken hervorruft, regelmäßig physiologische Abläufe und seelische Funktionen in oft sehr empfindlicher Weise stört. Schon solche Störungen als Gesundheitsbeschädigungen i.S.d. Vorschrift des § 823 Abs. 1 BGB anzuerkennen, wäre mit der verbindlichen Entscheidung des Gesetzes nicht vereinbar. Vielmehr ist jedenfalls bei den Fällen, in denen die psychisch vermittelte gesundheitliche Beeinträchtigung vom Täter nicht gewollt war, unabhängig von der herkömmlichen Adäquanzformel eine Beschränkung auf solche Schäden erforderlich, die nicht nur in medizinischer Sicht, sondern auch nach der allgemeinen Verkehrsauffassung als Verletzung des Körpers oder der Gesundheit betrachtet werden. Deshalb müssen unter Umständen auch Beeinträchtigungen ersatzlos bleiben, die zwar medizinisch erfassbar sind, aber nicht den Charakter eines solchen "schockartigen" Eingriffs in die Gesundheit tragen; so können die oft nicht leichten Nachteile für das gesundheitliche Allgemeinbefinden, die erfahrungsgemäß mit einem tief empfundenen Trauerfall verbunden sind, regelmäßig keine selbstständige Grundlage für einen Schadensersatzanspruch bilden.
Rz. 5
Der Prüfung nach diesen Grundsätzen hielt das Berufungsurteil nicht stand.
Der Sachverständige hatte lediglich in allgemeiner Form den Eintritt eines "schweren seelischen Schocks" bestätigt, wobei seine unmittelbar anschließenden Ausführungen sogar Zweifel erweckten, ob er damit den medizinischen Befund des Hausarztes bestätigen wollte. Von weiter gefragten Begleiterscheinungen hat er keine bejaht, sie vielmehr im Rahmen seiner eigenen Beobachtungsmöglichkeit verneint. Dem Berufungsgericht konnte nicht gefolgt werden, wenn es schon aus dieser Bekundung des Sachverständigen ohne Rückfrage eine anspruchsbegründende Gesundheitsschädigung der Klägerin entnehmen will.
Rz. 6
Mit einem "schweren seelischen Schock" bezeichnet die Umgangssprache eine heftige reaktive Gemütsbewegung, die keinen Krankheitscharakter ...