Rz. 174
Zitat
BGB § 823 Abs. 1
Das Risiko einer psychischen Gesundheitsverletzung eines Polizeibeamten oder einer professionellen Rettungskraft ist bei der gebotenen wertenden Betrachtung jedenfalls bei unmittelbarer aufgezwungener Beteiligung an einem traumatisierenden Geschehen grundsätzlich auch bei Verwirklichung eines berufsspezifischen Risikos dem Schädiger zuzuordnen. Auch wenn es zur Ausbildung und zum Beruf von Polizeibeamten gehört, sich auf derartige Belastungssituationen vorzubereiten, mit ihnen umzugehen, sie zu bewältigen und zu verarbeiten, gebietet eine solche Vorbereitung und etwaige Stärkung ihrer Psyche regelmäßig nicht, ihnen beim dennoch erfolgenden Eintritt einer psychischen Erkrankung den Schutz des Deliktsrechts zu versagen (Fortführung Senatsurteil v. 17.4.2018 – VI ZR 237/17, BGHZ 218, 220).
a) Der Fall
Rz. 175
Das klagende Land nahm den Beklagten aus übergegangenem Recht wegen der Verletzung eines Polizeibeamten auf Schadensersatz in Anspruch.
Rz. 176
Hintergrund des Rechtsstreits war ein Polizeieinsatz mehrerer Beamter am 22.11.2015, der durch einen Notruf wegen verbalen und tätlichen Auseinandersetzungen zwischen dem damals 18-jährigen Beklagten und anderen Gästen einer Cocktailbar ausgelöst worden war. Der deutlich erkennbar stark alkoholisierte Beklagte kam einem Platzverweis auch nach mehrfacher Aufforderung nicht nach, setzte sich gegen seine nachfolgend durchgeführte Ingewahrsamnahme heftig zur Wehr und verletzte dabei den Polizeibeamten N. – den er außerdem beschimpfte – am rechten Daumen. N. erlitt eine Distorsion des rechten Daumens, eine Zerrung des rechten Seitenbandes und eine Partialruptur des Kapselapparates am Daumengrundgelenk. Der Beklagte wurde als Heranwachsender wegen dieses Verhaltens vom AG G. unter Anwendung von Jugendstrafrecht des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung schuldig gesprochen und angewiesen, an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen sowie eine Geldbuße in Höhe von 300 EUR an einen gemeinnützigen Verein zu zahlen.
Rz. 177
Das klagende Land behauptete, der Polizeibeamte N. leide infolge der Handlungen des Beklagten an einer psychischen Erkrankung, nämlich einer posttraumatischen Belastungsstörung, infolge derer er dauerhaft dienstunfähig sei. Als Versorgungsträger hat es aus übergegangenem Recht des Polizeibeamten N. für u.a. Behandlungskosten und Verdienstausfall Schadensersatz in Höhe von 105.242,27 EUR aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung verlangt. Das LG, das sachverständig beraten davon ausgegangen war, dass N. als Folge des Schadensereignisses an einer spezifischen Phobie (ICD-10 F40.2) leide, die zu seiner Dienstunfähigkeit geführt habe, hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das OLG die Klage überwiegend abgewiesen und lediglich Ersatz für die dem klagenden Land infolge der Daumenverletzung des Polizeibeamten N. entstandenen Schäden in Höhe von 4.389,80 EUR zugesprochen.
Rz. 178
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrte das klagende Land die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
b) Die rechtliche Beurteilung
Rz. 179
Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung können durch ein Geschehen ausgelöste psychische Störungen von Krankheitswert eine Gesundheitsverletzung i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB darstellen. Handelt es sich bei den psychisch vermittelten Beeinträchtigungen nicht um schadensausfüllende Folgewirkungen einer Verletzung, sondern treten sie haftungsbegründend durch die psychische Reaktion auf ein (Unfall)Geschehen ein, wie dies beispielsweise in den sogenannten Schockschadensfällen regelmäßig und bei Aktual- oder Unfallneurosen häufig der Fall ist, so kommt eine Haftung nur in Betracht, wenn die Beeinträchtigungen selbst Krankheitswert besitzen, also eine Gesundheitsbeschädigung i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB darstellen. Dies gilt auch für psychische Störungen von Krankheitswert, die sich als Reaktion auf das Geschehen bei einem konflikthaften Polizeieinsatz ergeben. Erhöhte Anforderungen an das Vorliegen einer Gesundheitsverletzung, wie sie in Fällen sogenannter Schockschäden infolge des Todes oder der schweren Verletzung Dritter, namentlich naher Angehöriger, gestellt werden, sind allerdings vorliegend nicht zu erfüllen. Der Polizeibeamte N. führte seine psychische Beeinträchtigung nicht mittelbar auf die Verletzung oder den Tod eines Dritten zurück, sondern darauf, dass er selbst unmittelbar an der konflikthaften Ingewahrsamnahme des Beklagten beteiligt war und dass dieses Geschehen seine psychischen Beeinträchtigungen hervorgerufen hat.
Rz. 180
Rechtsfehlerhaft ist die Annahme des Berufungsgerichts, ein Anspruch sei deshalb zu verneinen, weil es an dem für eine Haftung erforderlichen Zurechnungszusammenhang zwischen den Handlungen des Beklagten und der geltend gemachten Gesundheitsverletzung fehle, da sich in der Erkrankung des Polizeibeamten N. lediglich ein spezifisches Berufsrisiko verwirk...