Rz. 121

Mit Recht hatte das Berufungsgericht die Haftung der Beklagten für die psychosomatischen Beschwerden des Klägers, die sich in einer chronischen Schmerzkrankheit manifestierten, bejaht.

 

Rz. 122

Hat jemand schuldhaft die Körperverletzung oder Gesundheitsbeschädigung eines anderen verursacht, für die er haftungsrechtlich einzustehen hat, so erstreckt sich die Haftung grundsätzlich auch auf die daraus resultierenden Folgeschäden. Das gilt, gleichviel ob es sich dabei um organisch oder psychisch bedingte Folgewirkungen handelt. Der Senat hat wiederholt ausgesprochen, dass die Schadensersatzpflicht für psychische Auswirkungen einer Verletzungshandlung nicht voraussetzt, dass sie eine organische Ursache haben; es genügt vielmehr die hinreichende Gewissheit, dass die psychisch bedingten Ausfälle ohne den Unfall nicht aufgetreten wären. Nicht erforderlich ist, dass die aus der Verletzungshandlung resultierenden (haftungsausfüllenden) Folgeschäden für den Schädiger vorhersehbar waren.

 

Rz. 123

Handelt es sich bei den psychisch vermittelten Beeinträchtigungen hingegen nicht um schadensausfüllende Folgewirkungen einer Verletzung, sondern treten sie haftungsbegründend erst durch die psychische Reaktion auf ein Unfallgeschehen ein, wie dies in den so genannten Schockschadensfällen regelmäßig und bei Aktual- oder Unfallneurosen häufig der Fall ist, so kommt eine Haftung nur in Betracht, wenn die Beeinträchtigungen selbst Krankheitswert besitzen, also eine Gesundheitsbeschädigung i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB darstellen, und für den Schädiger vorhersehbar waren.

 

Rz. 124

Im Streitfall geht es um (haftungsausfüllende) Folgewirkungen von Unfallverletzungen. Der Kläger hat bei dem Unfall körperliche Verletzungen erlitten, die aufgrund psychischer Fehlverarbeitung zu psychosomatischen Beschwerden geführt haben. Diese bestehen nach den Feststellungen des Berufungsgerichts in einer organisch nicht fassbaren, psychogenen Schmerzkrankheit, die sich in zunehmenden Schmerzreaktionen von Kopf bis Fuß, nämlich im Kopf, im gesamten Bereich der Wirbelsäule und in den Extremitäten äußert und zu der es ohne den Unfall nicht gekommen wäre. Ohne Erfolg rügte die Revision, dass das Berufungsgericht zum Ausmaß dieser Schmerzzustände keine näheren Feststellungen getroffen hat. Für die Haftung der Beklagten reicht es aus, dass sie als Beschwerden vorhanden sind, die als Hauptursache unstreitig zur Dienstunfähigkeit des Klägers und deshalb zu seiner vorzeitigen Pensionierung geführt haben.

 

Rz. 125

Die Zurechnung solcher Schäden scheitert nicht daran, dass sie auf einer konstitutiven Schwäche des Verletzten beruhen. Der Schädiger kann sich nach ständiger Rechtsprechung nicht darauf berufen, dass der Schaden nur deshalb eingetreten oder ein besonderes Ausmaß erlangt hat, weil der Verletzte infolge von körperlichen Anomalien oder Dispositionen zur Krankheit besonders anfällig gewesen sei. Wer einen gesundheitlich schon geschwächten Menschen verletzt, kann nicht verlangen, so gestellt zu werden, als wenn der Betroffene gesund gewesen wäre. So ist die volle Haftung auch in Fällen bejaht worden, in denen der Schaden auf einem Zusammenwirken körperlicher Vorschäden und der Unfallverletzungen beruhte (Senatsurt. v. 9.1.1962 – VI ZR 138/61, VersR 62, 351; v. 10.5.1966 – VI ZR 243/64, VersR 66, 737; v. 15.10.1968 – VI ZR 226/67, VersR 69, 43; v. 22.9.1992 – VI ZR 293/91, VersR 1993, 55 – Aneurysma).

 

Rz. 126

Der Grundsatz, dass eine besondere Schadensanfälligkeit des Verletzten dem Schädiger haftungsrechtlich zuzurechnen ist, gilt grundsätzlich auch für psychische Schäden, die regelmäßig aus einer besonderen seelischen Labilität des Betroffenen erwachsen (BGHZ 20, 137 (139) = VersR 56, 305; 56, 163 (165) = VersR 1971, 905 (906); Senatsurt. v. 16.3.1993 VersR 1993, 589 (590); RG DJZ 1915, 207). Dementsprechend ist die Haftung bejaht worden bei unfallbedingter Wesensveränderung (Senatsurt. v. 8.12.1959 – VI ZR 36/58, VersR 60, 225), bei Depressionen (Senatsurt. v. 14.6.1966 – VI ZR 270/64, VersR 66, 931 und v. 8.2.1994 – VI ZR 68/93, VersR 1994, 695 (696)), Aktual- oder Unfallneurosen (BGH v. 25.1.1968 – III ZR 122/67, VersR 68, 396; Senatsurt. v. 12.11.1985, VersR 1986, 240 (241)) sowie bei Konversionsneurosen (Senatsurt. v. 12.11.1985 a.a.O. und v. 16.3.1993 a.a.O.; OLG Frankfurt/M., VersR 1993, 853).

 

Rz. 127

Hieraus ergibt sich, dass der Schädiger für seelisch bedingte Folgeschäden, auch wenn sie auf einer psychischen Prädisposition oder sonst wie auf einer neurotischen Fehlverarbeitung beruhen, haftungsrechtlich grundsätzlich einzustehen hat. Freilich sind einer solchen Haftung auch Grenzen gesetzt. So hat die Rechtsprechung eine Haftung für Renten- oder Begehrensneurosen abgelehnt, in denen der Geschädigte den Unfall in dem neurotischen Streben nach Versorgung und Sicherheit lediglich zum Anlass nimmt, den Schwierigkeiten und Belastungen des Erwerbslebens auszuweichen (BGHZ 20, 137 = VersR 56, 305; Senatsurt. v. 8.7.1960 – VI ZR 174/59, VersR 60, 740; v. 21.4...

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