Gerhard Ring, Line Olsen-Ring
Rz. 229
Eine in einem Mitgliedstaat, der durch eine Ratifikation des Haager Protokolls von 2007 (HUntProt, siehe Rdn 279 ff.) gebunden ist (mithin nicht Großbritannien und Dänemark), ergangene Entscheidung wird nach Art. 17 Abs. 1 EU-UnterhaltsVO in einem anderen Mitgliedstaat anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf und ohne dass die Anerkennung angefochten werden kann (Abschaffung des Exequaturverfahrens und Anordnung der sofortigen Vollstreckbarkeit). Eine in einem entsprechenden Mitgliedstaat ergangene Entscheidung, die in diesem Staat vollstreckbar ist (vgl. Art. 18 EU-UnterhaltsVO, wonach eine vollstreckbare Entscheidung von Rechts wegen die Befugnis umfasst, alle auf eine Sicherung gerichteten Maßnahmen zu veranlassen, die im Recht des Vollstreckungsmitgliedstaates vorgesehen sind), ist gem. Art. 17 Abs. 2 EU-UnterhaltsVO in einem anderen Mitgliedstaat vollstreckbar, ohne dass es einer Vollstreckbarerklärung bedarf (mithin, ohne dass es noch Versagungsgründe für eine Anerkennung gibt).
Rz. 230
Ein gesondertes Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren ist demnach für die Vollstreckung von Unterhaltstiteln nach Maßgabe der EU-UnterhaltsVO seit dem 18.6.2011 nicht mehr erforderlich: Der Kläger kann einen entsprechenden Titel schon im Ausgangsverfahren beantragen und – so seine Klage erfolgreich ist – sich mit diesem unmittelbar an die Vollstreckungsorgane im Vollstreckungsstaat wenden (wobei sich auch Rechtsbehelfe gegen die Vollstreckung dann mit den aus Art. 21 EU-UnterhaltsVO resultierenden Modifikationen nach Maßgabe des Rechts des Vollstreckungsstaates ergeben; vgl. im Hinblick auf Deutschland die §§ 30 ff. AUG).
Rz. 231
Hinweis: Für Entscheidungen, die vor dem 18.6.2011 ergangen sind (oder noch unter der Geltung der EuGVO, vgl. Art. 75 Abs. 2 EU-UnterhaltsVO) – bzw. im Hinblick auf die Rechtslage in Großbritannien und Dänemark –, gilt das allgemeine Anerkennungsverfahren nach Maßgabe der Art. 23 ff. EU-UnterhaltsVO (sog. automatische (ipso jure-)Anerkennung): Es gelten die Versagungsgründe nach Art. 24 EU-UnterhaltsVO. Zudem kann sich der Verpflichtete gem. Art. 32 EU-UnterhaltsVO gegen die Vollstreckbarerklärung wehren.
Rz. 232
Weiterer Hinweis: Demhingegen kann einer Anerkennung und Vollstreckung von Titeln außerhalb des Anwendungsbereichs des Art. 17 EU-UnterhaltsVO mit dem Einwand eines Verstoßes gegen den verfahrensrechtlichen ordre public begegnet werden.
Rz. 233
Ein Antragsgegner, der sich im Ursprungsmitgliedstaat nicht auf das Verfahren eingelassen hat, hat nach Art. 19 Abs. 1 EU-UnterhaltsVO (Recht auf Nachprüfung) das Recht, eine Nachprüfung der Entscheidung durch das zuständige Gericht dieses Mitgliedstaates zu beantragen, wenn
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ihm das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte (lit. a), oder |
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er aufgrund höherer Gewalt oder aufgrund außergewöhnlicher Umstände ohne eigenes Verschulden nicht in der Lage gewesen ist, Einspruch gegen die Unterhaltsforderung zu erheben (lit. b), |
es sei denn, er hat gegen die Entscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte.
Rz. 234
Die Frist für den Antrag auf Nachprüfung der Entscheidung beginnt nach Art. 19 Abs. 2 EU-UnterhaltsVO mit dem Tag, an dem der Antragsgegner vom Inhalt der Entscheidung tatsächlich Kenntnis genommen hat und in der Lage war, entsprechend tätig zu werden, spätestens aber mit dem Tag der ersten Vollstreckungsmaßnahme, die zur Folge hatte, dass die Vermögensgegenstände des Antragsgegners ganz oder teilweise dessen Verfügung entzogen wurden. Der Antragsgegner wird unverzüglich tätig, in jedem Fall aber innerhalb einer Frist von 45 Tagen. Eine Verlängerung dieser Frist wegen weiter Entfernung ist ausgeschlossen.
Rz. 235
Weist das Gericht den Antrag auf Nachprüfung nach Art. 19 Abs. 1 EU-UnterhaltsVO mit der Begründung zurück, dass keine der Voraussetzungen für eine Nachprüfung nach jenem Absatz erfüllt ist, bleibt die Entscheidung in Kraft (Art. 19 Abs. 3 EU-UnterhaltsVO). Entscheidet das Gericht, dass eine Nachprüfung aus einem der in Art. 19 Abs. 1 EU-UnterhaltsVO genannten Gründe gerechtfertigt ist, so wird die Entscheidung für nichtig erklärt. Die berechtigte Person verliert jedoch nicht die Vorteile, die sich aus der Unterbrechung der Verjährungs- oder Ausschlussfristen ergeben, noch das Recht, im ursprünglichen Verfahren möglicherweise zuerkannte Unterhaltsansprüche rückwirkend geltend zu machen.
Rz. 236
Die im Recht des Vollstreckungsmitgliedstaates vorgesehenen Gründe für die Verweigerung oder Aussetzung der Vollstreckung gelten (Verweigerung oder Aussetzung der Vollstreckung), sofern sie nicht mit der Anwendung der Abs. 2 und 3 des Art. 21 EU-UnterhaltsVO unvereinbar sind (Art. 21 Abs. 1 EU-UnterhaltsVO). Die zuständige Behörde des Vollstreckungsmitgliedstaates verweigert gem. Art. 21 Abs. 2 EU-UnterhaltsVO auf Antrag der verpflichte...