Rz. 373

Auch die Behörden des Heimatstaates des Minderjährigen (sofern dieser Vertragsstaat ist, vgl. Art. 13 Abs. 2 MSA) sind nach Art. 4 Abs. 1 MSA international zuständig, Maßregeln zu ergreifen. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass sie die Behörden des Aufenthaltsstaates darüber vorher verständigt haben. Die Behörden des Heimatstaates wenden dabei ihr eigenes materielles Recht (lex fori) an, das nach Art. 4 Abs. 2 MSA die Voraussetzungen für die Anordnung, die Änderung und die Beendigung der ergriffenen Maßnahmen bestimmt. Die getroffenen Maßnahmen des Heimatstaates gehen nach Art. 4 Abs. 4 MSA früheren und späteren Maßregeln der Behörden des Aufenthaltsstaates vor.[510] Praktisch gerät der Heimatstaat gegenüber dem Aufenthaltsstaat jedoch meist ins Hintertreffen.[511] Auch für die Durchführung der getroffenen Maßnahmen haben nach Art. 4 Abs. 3 MSA die Behörden des Heimatstaates zu sorgen, wobei sie jedoch gem. Art. 6 Abs. 1 MSA die Durchführung im Einvernehmen mit den Behörden des Aufenthaltsstaates oder des Staates, in dem der Minderjährige Vermögen hat, übertragen können. Im Falle einer räumlichen oder persönlichen Spaltung des Rechts im Heimatstaat entscheidet über das anwendbare Recht und die Zuständigkeit einheitliches interlokales oder interpersonales Privat- und Verfahrensrecht des Heimatstaates, hilfsweise die engste Verbindung des Minderjährigen mit einem der Teilrechtsgebiete (vgl. Art. 14 MSA – Uneinheitlichkeit des Heimatrechts des Minderjährigen).

 

Rz. 374

Bei einer Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts des Minderjährigen von einem Vertragsstaat in einen anderen verlieren die Behörden des alten Staates ihre Zuständigkeit.[512] Allerdings bleiben die von den Behörden des alten Staates ergriffenen Maßnahmen nach Art. 5 Abs. 1 MSA so lange in Kraft, bis sie von den Behörden des neuen Staates geändert oder aufgehoben werden. Art. 5 Abs. 2 MSA fordert zudem, dass sich die Behörden des neuen Staates vor dem Ergreifen eigener Maßnahmen mit den Behörden des alten Staates verständigen müssen. Nach Art. 5 Abs. 3 MSA bleiben allerdings die Maßnahmen des Heimatstaates – die gem. Art. 4 Abs. 4 MSA in jedem Fall den Maßnahmen der Behörden des Aufenthaltsstaates vorgehen – uneingeschränkt in Kraft.

 

Rz. 375

Hinweis: Nach Art. 7 MSA werden Maßnahmen, die eine international zuständige Behörde ergriffen hat, in allen Vertragsstaaten anerkannt: Die Maßnahmen, die die nach dem MSA zuständigen Behörden getroffen haben, sind in allen Vertragsstaaten anzuerkennen. Erfordern diese Maßnahmen jedoch Vollstreckungshandlungen in einem anderen Staat als in dem, in welchem sie getroffen worden sind, so bestimmen sich ihre Anerkennung und ihre Vollstreckung entweder nach dem innerstaatlichen Recht des Staates, in dem die Vollstreckung beantragt wird, oder nach zwischenstaatlichen Übereinkünften.

[510] Bspw. wenn im Heimatstaat das Sorgerecht nach der Scheidung anders als im Aufenthaltsstaat verteilt wird, womit der Heimatstaat das "letzte Wort" habe, so Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, § 20 XI. 5. a).
[511] Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, § 20 XI. 5. a).
[512] OLG Nürnberg NJW-RR 2002, 1515: keine perpetuatio fori.

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