Rz. 163
M, der im Fallbeispiel bisher 100 EUR gezahlt hat, wodurch nur sein notwendiger Selbstbehalt (1.160 EUR) gewahrt wird, erwägt, gar nichts mehr zu zahlen, da er nur ein bereinigtes Nettoeinkommen von 1.260 EUR hat, also weniger als der angemessene Selbstbehalt (1.400 EUR).
M möchte K gerne gemäß § 1603 Abs. 2 S. 3 ganz an die Großväter verweisen.
§ 1603 Leistungsfähigkeit
(1) Unterhaltspflichtig ist nicht, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren.
(2) Befinden sich Eltern in dieser Lage, so sind sie ihren minderjährigen unverheirateten Kindern gegenüber verpflichtet, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden. Den minderjährigen unverheirateten Kindern stehen volljährige unverheiratete Kinder bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres gleich, solange sie im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils leben und sich in der allgemeinen Schulausbildung befinden. Diese Verpflichtung tritt nicht ein, wenn ein anderer unterhaltspflichtiger Verwandter vorhanden ist; sie tritt auch nicht ein gegenüber einem Kind, dessen Unterhalt aus dem Stamme seines Vermögens bestritten werden kann.
Diese Subsidiaritätshaftung nach § 1603 Abs. 2 S. 3 BGB – es entfällt die gesteigerte Leistungspflicht – würde zunächst die Kindsmutter treffen, aber die ist hier ohne Einkommen.
Somit kommt eine Haftung der beiden Großväter für den gesamten Unterhalt (hier 286,50 EUR) in Betracht.
Rz. 164
Bislang war folgende Frage umstritten:
Ist Leistungsunfähigkeit i.S.v. § 1607 BGB
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bereits dann gegeben, wenn bzw. soweit der primär Leistungspflichtige (hier der Vater) seinen angemessenen Selbstbehalt (1.400 EUR) nicht wahren kann, |
▪ |
oder erst dann, wenn bzw. soweit der primär Leistungspflichtige (hier der Vater) seinen notwendigen Selbstbehalt (1.160 EUR) nicht wahren kann? |
Führt das Vorhandensein von leistungsfähigen Großeltern dazu, dass sich die Leistungsfähigkeit der Eltern für den Kindesunterhalt allein nach § 1603 Abs. 1 BGB richtet (angemessener Selbstbehalt von 1.400 EUR) und ist damit die gesteigerte Unterhaltspflicht des § 1603 Abs. 2 Satz 1 und 2 BGB (notwendiger Selbstbehalt 1.160 EUR) ausgeschlossen?
Rz. 165
Der Streit wurde nunmehr vom BGH entschieden: Der Elternteil – hier M – kann seinen angemessenen Selbstbehalt (1.400 EUR) wahren:
BGH, Beschl. v. 27.10.2021– XII ZB 123/21 Rn 16
Die gesteigerte Unterhaltspflicht des § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB für Eltern minderjähriger Kinder tritt nach der sprachlich eindeutigen Maßgabe des § 1603 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 1 BGB nicht ein, wenn ein anderer unterhaltspflichtiger Verwandter vorhanden ist (vgl. BeckOGK/Gerlach, [Stand: 1.8.2021], BGB, § 1607 Rn 20.3; Gutdeutsch, FamRZ 2018, 5, 7).
Dabei schränkt das Gesetz den Verwandtenbegriff nicht weiter ein, so dass dieser dem in § 1601 BGB verwendeten, nicht nach dem Verwandtschaftsgrad differenzierenden entspricht. Verwandter in diesem Sinne kann daher nicht nur der andere Elternteil – selbst, wenn er seine Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind durch Betreuung erbringt (vgl. BGHZ 189, 284 = FamRZ 2011, 1041 Rn 41 m.w.N.) – sein, sondern auch ein Großelternteil (vgl. Senatsurteile vom 8.6.2005 – XII ZR 75/04, FamRZ 2006, 26, 28 und vom 31.3.1982 – IVb ZR 667/80, FamRZ 1982, 590, 591).
Rz. 166
Die Argumentationskette des M wäre also:
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es sind leistungsfähige Großeltern vorhanden |
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es entfällt gemäß § 1603 Abs. 2 S. 3 BGB die gesteigerte Leistungspflicht des M nach Abs. 1 |
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M hat einen Selbstbehalt von 1.400 EUR |
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diesen kann er nicht wahren (er hat nur 1.260 EUR) |
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er ist völlig leistungsunfähig (§ 1603 Abs. 1 BGB) |
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Konsequenz gem. § 1607 Abs. 1: Ersatzhaftung der Großeltern wegen Leistungsunfähigkeit des M und der neKM bezüglich der vollen 286,50 EUR |