Rz. 336
In der Regulierungspraxis und der Rechtsprechung der Instanzgerichte wird der zur Reisegepäckversicherung entwickelte bona-fides-Beweis (Redlichkeitsbeweis) herangezogen.
In der Rechtsprechung besteht Einigkeit darüber, dass es bei der Herabsetzung des Beweismaßstabes entscheidend auf die Glaubwürdigkeit des Versicherungsnehmers ankommt. Es liegt daher nahe, dieses Beweisinstrument auch nach dem Grundsatz der bona-fides, die das gesamte Versicherungsrecht bestimmt, zu benennen, zumal auch der BGH in seiner Rechtsprechung die Redlichkeit des Versicherungsnehmers und seiner Angaben in den Vordergrund stellt. Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 21.2.1996 ausgeführt, dass die Redlichkeit des Versicherungsnehmers und seiner Angaben zunächst vermutet wird, da "nicht der unredliche, sondern der redliche Versicherungsnehmer der Regelfall ist".
Weiter heißt es in dieser Entscheidung: "Von einem Regelfall kann aber nicht mehr ausgegangen werden, wenn konkrete Tatsachen vorliegen, die den Versicherungsnehmer als unglaubwürdig erscheinen lassen oder doch schwerwiegende Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit und an der Richtigkeit der von ihm aufgestellten Behauptungen der Entwendung aufdrängen."
Rz. 337
In einer weiteren Entscheidung vom 22.1.1997 führt der BGH aus, der Tatrichter könne "den Behauptungen und Angaben des Versicherungsnehmers auch dann glauben, wenn dieser ihre Richtigkeit sonst nicht beweisen kann". Auch hier wird wieder darauf abgestellt, dass nicht der unredliche, sondern der redliche Versicherungsnehmer der Regelfall ist: "Welche feststehenden Tatsachen ausreichen, um schwerwiegende Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Versicherungsnehmers zu begründen und damit die Redlichkeitsvermutung als widerlegt anzusehen, lässt sich nicht generell sagen."
Der bona-fides-Beweis, der die besondere, auf gegenseitigem Vertrauen beruhende Interessenlage zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer berücksichtigt, ist ebenso wie der prima-facie-Beweis dogmatisch in den Bereich der Beweiswürdigung gem. § 286 ZPO einzuordnen:
Rz. 338
1. Stufe: Der Versicherungsnehmer genügt seiner Beweislast für den Eintritt des Versicherungsfalles dadurch, dass er einen äußeren Sachverhalt dartut, aus dem sich der Eintritt des Versicherungsfalles ergibt. Er braucht nur die Umstände (Rahmentatsachen) mit den allgemeinen Beweismitteln zu beweisen, die üblicherweise bewiesen werden können. Die Redlichkeit des Versicherungsnehmers und seiner Angaben wird vermutet.
2. Stufe: Wenn der Versicherer Umstände beweist, aus denen sich die Unredlichkeit des Versicherungsnehmers oder seiner Angaben ergibt, ist die zugunsten des Versicherungsnehmers bestehende Vermutung der Redlichkeit erschüttert, so dass dem Versicherungsnehmer keine Beweiserleichterungen mehr zugutekommen.
Rz. 339
Bei der Erschütterung der Redlichkeitsvermutung kommen nur nachgewiesene Tatsachen in Betracht. Bloße Verdachtsmomente können wegen der Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 EMRK) nicht herangezogen werden, ebenso wenig Verurteilungen, die im Strafregister getilgt sind oder getilgt werden müssen.
Eine Erschütterung der Redlichkeitsvermutung liegt z.B. vor, wenn
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der Versicherungsnehmer bereits in Schadenfälle mit betrügerischem Hintergrund verwickelt war, |
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der Versicherungsnehmer bei den Schadenbelegen manipuliert hat, |
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der Versicherungsnehmer falsche Angaben über Vorschäden und Tatzeit macht, |
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der Versicherungsnehmer einen Fahrzeugschlüssel vorlegt, der nicht zum angeblich entwendeten Pkw gehört, |
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der Versicherungsnehmer falsche Angaben über die Eigentumsverhältnisse des angeblich entwendeten Fahrzeuges macht, |
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der Versicherungsnehmer falsche Angaben zum Verbleib eines Reserveschlüssels macht, |
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der Versicherungsnehmer innerhalb eines Jahres vier Autounfälle vorgetäuscht hat, |
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der Versicherungsnehmer in der Schadenanzeige zwei Fragen vorsätzlich falsch beantwortet hat, |
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der Versicherungsnehmer wegen Versicherungsbetruges vorbestraft ist. |
Rz. 340
Die Kritik an diesem Beweismodell wird unter Hinweis auf eine Entscheidung des OLG Hamm vom 11.1.1995 damit begründet, dass auch dem unglaubwürdigen Versicherungsnehmer die Möglichkeit offen stehen muss, Beweiserleichterungen in Anspruch zu nehmen. Das OLG Hamm hatte eine Verurteilung des Klägers wegen Steuerhinterziehung nicht als ausreichend angesehen, "die (vermutete) Glaubwürdigkeit des Klägers in Zweifel zu ziehen".
Der bona-fides-Beweis stellt nicht nur auf die Glaubwürdigkeit des Versicherungsnehmers ab, sondern auch auf die Glaubhaftigkeit der Angaben des Versicherungsnehmers zum Versicherungsfall. Die Tatsachen, die der Versicherer beweisen muss, sind personenbezogen und tatbezogen. Während beide Beweismodelle gleichermaßen auf die Glaubwürdigkeit des Versicherungsnehmers und die Glaubhaftigkeit seiner Angaben zum Schadenhergang abstellen, liegt der Unterschied darin, dass nach den Regeln des bona-fides-Beweises lediglich der Rah...