Rz. 46
Ein Versicherungsvertrag kann – wie die meisten anderen privat-rechtlichen Verträge – ausdrücklich oder stillschweigend, förmlich oder formlos geschlossen werden. Abweichende Formvereinbarungen sind zulässig. Der Grundsatz der Vertragsfreiheit gilt auch im Versicherungsrecht, so dass es dem Versicherer und dem Versicherungsnehmer freisteht, ob und mit welchem Inhalt eine Versicherung abgeschlossen wird. Eine Ausnahme bildet § 5 PflVG, der dem Kfz-Versicherer eine Abschlusspflicht auferlegt (Kontrahierungszwang).
I. Formerfordernisse (§ 3 VVG)
Rz. 47
Nach § 3 Abs. 1 S. 1 VVG ist der Versicherer verpflichtet, "dem Versicherungsnehmer einen Versicherungsschein in Textform, auf dessen Verlangen als Urkunde zu übermitteln". Der Versicherungsschein in Textform hat aufgrund der Manipulationsmöglichkeiten nur geringen Beweiswert; wird daher der Versicherungsschein als Urkunde in Papierform (auf Wunsch des Versicherungsnehmers) übersandt, so gilt für ihn die widerlegbare Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit.
Die Legitimationswirkung des Versicherungsscheins als Urkunde gem. § 808 BGB erstreckt sich auch auf das Kündigungsrecht zur Erlangung des Rückkaufswertes. Diese Legitimationswirkung greift ausnahmsweise dann nicht ein, wenn der Versicherer die mangelnde Verfügungsberechtigung positiv kennt oder die Leistung unter Verstoß gegen Treu und Glauben bewirkt hat. Der Versicherer leistet daher mit befreiender Wirkung, selbst wenn die Unterschrift unter der Kündigungserklärung gefälscht war.
Rz. 48
Nach § 3 Abs. 4 VVG kann der Versicherungsnehmer "jederzeit vom Versicherer Abschriften der Erklärungen verlangen, die er mit Bezug auf den Vertrag abgegeben hat". Hierzu gehört insbesondere der Versicherungsantrag, der im Regelfall von Bedeutung ist, wenn der Vorwurf unrichtiger Angaben bei Abschluss des Versicherungsvertrages erhoben wird. Wenn ein Schriftvergleich wegen Mikroverfilmung des Antrages nicht mehr möglich ist, geht dies zu Lasten des Versicherers. Der Versicherungsnehmer ist so zu stellen, als sei ihm der Beweis für die nachträgliche Änderung des Antrages durch den Versicherungsvermittler gelungen.
II. Beratungspflichten (§ 6 VVG)
Rz. 49
§ 6 VVG verpflichtet den Versicherer kraft Gesetzes, den Versicherungsnehmer vor Vertragsschluss und während der Vertragslaufzeit zu beraten, wenn hierfür aufgrund der konkreten Umstände ein Anlass besteht. Nach § 6 Abs. 2 VVG hat der Versicherer den erteilten Rat und die Gründe hierfür zu dokumentieren und dem Versicherungsnehmer vor Abschluss des Vertrages in Textform zu übermitteln. Normiert wird eine anlassbezogene Beratung, der Beratungsbedarf muss durch einen für den Versicherer erkennbaren konkreten Anlass vor oder bei Vertragsschluss ausgelöst werden.
Besonders bei einem Vertragswechsel besteht Beratungsbedarf, da im Zweifelsfall der Kunde eine nahtlose Fortsetzung des Versicherungsschutzes anstrebt und keinesfalls eine Verschlechterung gegenüber dem bisherigen Versicherungsschutz.
Wenn der Versicherungsnehmer eine vorübergehende Prämienfreistellung beantragt, muss der Versicherer ihn darauf hinweisen, dass bei Wiederaufnahme des Vertrages eine erneute Gesundheitsprüfung stattfindet. Das OLG Frankfurt a.M. führt aus, dass der Versicherer gemäß § 6 Abs. 1 S. 1 VVG den Versicherungsnehmer darüber belehren musste, dass eine Wiederaufnahme des Vertrages nach Ablauf von sechs Monaten von einer Gesundheitsprüfung abhängig sein würde.
Rz. 50
Es dürfte keine Beratungspflicht im Hinblick auf Konkurrenzangebote geben. Der Beratungsbedarf eines sachkundigen Versicherungsnehmers ist geringer und kann gegebenenfalls sogar entfallen. Gemäß § 6 Abs. 3 VVG kann der Versicherungsnehmer auf die Beratung und Dokumentation "durch gesonderte schriftliche Erklärung verzichten". Es ist zu befürchten, dass dieser Verzicht nicht, wie im Gesetz vorgesehen, die Ausnahme, sondern die Regel sein wird.
III. Informationspflichten (§ 7 VVG)
Rz. 51
Nach § 7 Abs. 1 VVG müssen die für den Vertragsschluss erforderlichen Informationen sowie die Vertragsbestimmungen dem Versicherungsnehmer "rechtzeitig vor Abgabe von dessen Vertragserklärungen" übermittelt werden.
Aus dieser Formulierung ergibt sich zwar, dass das Policenmodell (§ 5a VVG a.F.) nicht mehr zulässig ist. Gleichwohl ist zu befürchten, dass es in der Praxis bei der nachträglichen Übermittlung der Unterlagen verbleiben wird, da § 7 Abs. 1 S. 3 VVG ausdrücklich vorsieht, dass der Versicherungsnehmer "durch eine gesonderte schriftliche Erklärung auf eine I...