Rz. 82
Unter einer vorläufigen Deckung versteht man einen Versicherungsschutz, der schon vor dem Zustandekommen eines endgültigen Versicherungsvertrages vereinbart wird. Es handelt sich um einen eigenständigen Vertrag, der mit dem Zustandekommen oder der Ablehnung des endgültigen Vertrages endet (§ 52 VVG). Die vorläufige Deckungsvereinbarung und der spätere Versicherungsvertrag sind zwei selbstständige Verträge, auch wenn die Prämie und die Zeit der vorläufigen Deckung in den späteren Vertrag einbezogen werden.
Rz. 83
Die Besonderheit der vorläufigen Deckungsvereinbarung besteht darin, dass der Versicherungsnehmer auf Vertragsbestimmungen und Informationen gem. § 7 VVG verzichtet (§ 49 Abs. 1 VVG), während der Versicherer zunächst die Prämie stundet (§ 51 VVG). Der Verzicht des Versicherungsnehmers auf die Informationen gem. § 7 Abs. 1 VVG ist unzulässig bei Fernabsatzverträgen (§ 49 Abs. 1 S. 2 VVG). Für den vorläufigen Deckungsvertrag gelten die vom Versicherer zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses üblicherweise verwendeten Bedingungen (§ 49 Abs. 2 S. 1 VVG). Gibt es für die vorläufige Deckungsvereinbarung keine gesonderten Bedingungen, gelten die vom Versicherer verwendeten Bedingungen für den beabsichtigten Hauptvertrag. Bei unterschiedlichen Bedingungen werden nach § 49 Abs. 2 S. 2 VVG die für den Versicherungsnehmer günstigsten Bedingungen Vertragsbestandteil. Für das Zustandekommen der Deckungszusage ist der Versicherungsnehmer beweispflichtig.
I. Beginn des Versicherungsschutzes
Rz. 84
Die vorläufige Deckung beginnt zum vereinbarten Termin. Eine besondere Form für die vorläufige Deckungszusage ist nicht vorgeschrieben, sie kann auch mündlich erteilt werden. Die vorläufige Deckungszusage eines Versicherungsvermittlers kann nach den Regeln der Anscheinsvollmacht oder Duldungsvollmacht wirksam sein. Wenn der Hauptvertrag nicht zustande kommt, ist der Versicherungsnehmer verpflichtet, für die Zeit der vorläufigen Deckung die anteilige Prämie zu zahlen (pro rata temporis), die beim Zustandekommen des Hauptvertrages zu zahlen wäre (§ 50 VVG).
Der Versicherungsnehmer ist für das Zustandekommen und den Inhalt der vorläufigen Deckungszusage beweispflichtig. Behauptet der Versicherer, die Deckungszusage sei durch Kollusion mit dem Versicherungsvertreter rückdatiert worden, ist der Versicherer beweispflichtig.
II. Beendigung des Versicherungsschutzes (§ 52 VVG)
Rz. 85
Der Vertrag über die vorläufige Deckung endet
▪ |
mit dem rückwirkenden Zustandekommen des endgültigen Hauptvertrages (§ 52 Abs. 1 VVG), |
▪ |
mit Abschluss eines Hauptvertrages oder eines weiteren Vertrages über vorläufige Deckung mit einem anderen Versicherer (§ 52 Abs. 2 VVG), |
▪ |
bei Widerruf gem. § 8 VVG oder Widerspruch gem. § 5 Abs. 2 Abs. 3 VVG (§ 52 Abs. 3 VVG), |
▪ |
bei Kündigung durch Versicherer oder Versicherungsnehmer (§ 52 Abs. 4 VVG), |
▪ |
mit Ablauf der zeitlichen Befristung einer vorläufigen Deckungsvereinbarung. |
Hinweis
§ 52 VVG enthält halbzwingende Vorschriften, von denen nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers abgewichen werden darf (§ 52 Abs. 5 VVG).
III. Aufrechnung
Rz. 86
Der Versicherungsnehmer kann selbst bei verspäteter oder unterlassener Zahlung der Erstprämie gem. § 33 VVG – rückwirkend – die Aufrechnung erklären, so dass er eine Entschädigungsleistung erhält, ohne jemals eine Prämie gezahlt zu haben. Erforderlich ist, dass die Gegenforderung vor dem in § 33 VVG genannten Zeitpunkt bestand. Wegen der Rückwirkung der Aufrechnungserklärung kommt es nicht auf den Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung an. Es genügt jede Verrechnungs- und Aufrechnungsmöglichkeit; Gegenseitigkeit setzt nicht voraus, dass die Aufrechnungsforderung aus demselben Rechtsverhältnis resultiert.
IV. Prämie
Rz. 87
Die vorläufige Deckung erfolgt nicht unentgeltlich. Die Prämie für die vorläufige Deckung wird entweder in den späteren Vertrag einbezogen oder bestimmt sich nach § 50 VVG, wenn kein Vertrag zustande kommt und keine ausdrückliche Vereinbarung über die Prämie für die vorläufige Deckungszusage getroffen worden ist. Im Regelfall wird nach den Tarifen des Versicherers für entsprechende endgültige Verträge die Prämie pro rata temporis berechnet.
Diese Regelung ergibt sich auch aus § 49 Abs. 2 VVG, so dass für die vorläufige Deckungsvereinbarung die vom Versicherer für einen Hauptvertrag üblicherweise verwendeten Bedingungen zugrunde zu legen sind.