Rz. 173
Gesetzliche Obliegenheiten sind nur dann relevant, wenn das Gesetz auch Sanktionen bei Obliegenheitsverletzungen vorsieht. Werden gesetzliche Obliegenheiten Gegenstand der AVB so handelt es sich um vertragliche Obliegenheiten mit den entsprechenden Sanktionen für die Verletzung von vertraglichen Obliegenheiten.
1. Hinweispflicht (§ 5 Abs. 2 VVG)
Rz. 174
Wenn der Inhalt des Versicherungsscheins vom Antrag des Versicherungsnehmers abweicht, muss der Versicherer den Versicherungsnehmer bei Übermittlung des Versicherungsscheins auf diese Abweichungen hinweisen. Die Sanktion ergibt sich aus § 5 Abs. 3 VVG:
Zitat
"Hat der Versicherer die Verpflichtung nach Abs. 2 nicht erfüllt, gilt der Vertag als mit dem Inhalt des Antrages des Versicherungsnehmers geschlossen."
2. Anzeigepflicht (§ 30 VVG)
Rz. 175
Der Versicherungsnehmer hat den Eintritt des Versicherungsfalles dem Versicherer unverzüglich anzuzeigen. Eine Sanktion bei Verletzung dieser Anzeigeobliegenheit findet sich im Gesetz nicht. Es handelt sich somit um eine "lex imperfecta", sie hat daher nur Warnfunktion und wird nur dann relevant, wenn – wie üblich – die Anzeigepflicht in den AVB zur vertraglichen Obliegenheit wird.
3. Auskunftspflicht (§ 31 VVG)
Rz. 176
Der Versicherungsnehmer ist verpflichtet, jede Auskunft zu erteilen, "die zur Feststellung des Versicherungsfalles oder des Umfanges der Leistungspflicht des Versicherers erforderlich ist". Auch diese Vorschrift enthält keine Sanktion bei Verletzung der gesetzlichen Obliegenheit, so dass auch diese Obliegenheit nur dann relevant ist, wenn sie in den AVB zum Gegenstand einer vertraglichen Obliegenheit gemacht wird.
Sachdienlich können auch Fragen des Versicherers nach den Vermögensverhältnissen des Versicherungsnehmers und seiner Familie sein. Im entschiedenen Fall war ein versichertes Gebäude abgebrannt, in dem unter anderem auch ein Sohn des Versicherungsnehmers gewohnt hatte. Der BGH führt aus, die Fragen nach Vermögensverhältnissen seien zulässig, weil sich daraus für den Versicherer Anhaltspunkte ergeben könnten, der Eintritt des Versicherungsfalles entspreche der finanziellen Interessenlage des Versicherungsnehmers. Erschwerend kam hinzu, dass der Sohn des Versicherungsnehmers früher Eigentümer des betroffenen Grundstücks war und die wirtschaftliche Last des Hauses nicht mehr tragen konnte, sodass er zwei Jahre vor dem Brandschaden das Haus auf seinen Vater übertragen hatte.
4. Schadenminderungspflicht (§ 82 VVG)
Rz. 177
Der Versicherungsnehmer hat bei Eintritt des Versicherungsfalles nach Möglichkeit den Schaden abzuwenden oder zu mindern (§ 82 Abs. 1 VVG).
Die Obliegenheit gem. § 82 Abs. 1 VVG beginnt erst bei Eintritt des Versicherungsfalles. Wenn der Versicherungsnehmer Aufwendungen macht, um einen unmittelbar bevorstehenden Versicherungsfall abzuwenden oder zu mindern, ist § 83 VVG entsprechend anzuwenden (§ 90 VVG). Der neu eingeführte § 90 VVG basiert auf der zum VVG 1908 gebildeten Vorerstreckungstheorie, nach der bereits zum früheren VVG Aufwendungen zu ersetzen waren, die zur Abwendung oder Minderung eines unmittelbar bevorstehenden Versicherungsfalles gemacht wurden.
Er hat Weisungen des Versicherers einzuholen und bei unterschiedlichen Weisungen mehrerer beteiligter Versicherer nach pflichtgemäßem Ermessen zu handeln (§ 82 Abs. 2 VVG). Die Sanktionen dieser gesetzlichen Obliegenheitsverletzung ergeben sich aus § 82 Abs. 3 VVG.
Rz. 178
Bei einer vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung wird der Versicherer leistungsfrei, bei einer grob fahrlässigen Obliegenheitsverletzung ist der Versicherer berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens entsprechenden Verhältnis zu kürzen.
Aber auch hier gilt das Kausalitätsprinzip: Die Leistungsfreiheit tritt nicht ein, wenn die Obliegenheitsverletzung sich weder auf die Feststellung des Versicherungsfalles noch des Umfangs der Leistungspflicht ausgewirkt hat. Dieses Kausalitätserfordernis entfällt nur bei Arglist (§ 82 Abs. 4 VVG).
5. Aufgabeverbot (§ 86 Abs. 2 VVG)
Rz. 179
Gemäß § 86 Abs. 1 VVG gehen alle Ansprüche des Versicherungsnehmers gegen den Schädiger auf den Versicherer über, soweit der Versicherer den Schaden ersetzt. Der Versicherungsnehmer muss alles tun, um diesen Anspruch gegen den Schädiger aufrechtzuerhalten, er darf insbesondere nicht auf diesen Anspruch verzichten.
Der Versicherungsnehmer muss bei der Durchsetzung der Regressansprüche "mitwirken"; er hat eine Unterstützungsobliegenheit. Der Versicherungsnehmer muss die erforderlichen Auskünfte und Vollmachten erteilen und sich als Zeuge für den Regressprozess zur Verfügung stellen. Entstehen dem Versicherungsnehmer hierdurch Kosten, so sind diese analog § 83 VVG zu ersetzen.
Die Sanktion ergibt sich aus § 86 Abs. 2 S. 2 VVG: Bei vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung wird der Versiche...