Rz. 222
Während § 81 VVG die Leistungspflicht des Schaden-Versicherers bei Vorsatz ganz und bei grober Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers teilweise ausschließt, ist der Haftpflichtversicherer für jede, auch grobe Fahrlässigkeit, eintrittspflichtig (§ 103 VVG). § 81 VVG betrifft die gesamte Schadensversicherung, während § 103 VVG nur für die Haftpflichtversicherung gilt. Diese gesetzlichen Vorschriften werden überwiegend als subjektive Risikoausschlüsse verstanden.
I. Vorsatzbegriff
Rz. 223
Im Versicherungsrecht gilt der allgemeine zivilrechtliche Vorsatzbegriff: Der Versicherungsnehmer muss vorsätzlich (dolus eventualis genügt) und rechtswidrig handeln.
Der Versicherer muss Vorsatz und Rechtswidrigkeit voll beweisen, ihm kommen keine Beweiserleichterungen zugute. Der Versicherungsnehmer ist beweispflichtig für Bewusstlosigkeit oder Vollrausch oder Ausschluss freier Willensbestimmung. Putativ-Notwehr schließt Vorsatz aus. Der Versicherte muss die Schaden stiftende Handlung nicht nur vorsätzlich begehen, sondern auch die Schadenfolgen billigend in Kauf nehmen.
II. Beweisführung
Rz. 224
Der Versicherer, der sich auf Leistungsfreiheit beruft, muss beweisen, dass der Versicherungsnehmer vorsätzlich gehandelt hat und dass sein Verhalten ursächlich für den Schadeneintritt war. Ihm kommen keine Beweiserleichterungen zugute.
Die Regeln des Anscheinsbeweises sind wegen der Unwägbarkeiten menschlichen Verhaltens nicht anzuwenden, so dass der Versicherer in der Regel auf den Indizienbeweis angewiesen ist. Beim Indizienbeweis wird aufgrund von Indiztatsachen auf das Vorhandensein der zu beweisenden Tatsache mit einem Maß an Gewissheit geschlossen, das vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen.
Rz. 225
Beispiel
Wenn feststeht, dass der Brand eines Fahrzeuges im Fahrgastraum entstanden ist und technische Ursachen hierfür auszuschließen sind, kann von einer vorsätzlichen Brandstiftung ausgegangen werden.
III. Rechtsprechung
Rz. 226
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Der Vorsatz muss sich auch auf die Schadenfolgen beziehen, also bei Körperverletzung mit Todesfolge (§ 226 StGB) auch auf den Tod des Opfers. Der Täter braucht nicht alle Einzelheiten vorherzusehen und in seinen Willen aufzunehmen; er muss sich lediglich die Folgen seiner Handlung in ihren Grundzügen vorgestellt haben; der Vorsatz muss sich nicht auf die Höhe des Schadens erstrecken. |
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Bei vorsätzlichen Faustschlägen ins Gesicht, werden schwere Verletzungsfolgen billigend in Kauf genommen. Bei verabredetem Unfall tritt Leistungsfreiheit nicht gegenüber dem unbeteiligten Halter ein, der auch die Hälfte seines Schadens bei der gegnerischen Haftpflichtversicherung geltend machen kann. Schlägt der VN dem Verletzten ohne besonderen Anlass anlässlich eines Volksfestes in den Magen, so nimmt er zumindest bedingt vorsätzlich die üblichen Verletzungsfolgen in Kauf. |
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Beruft sich der Versicherungsnehmer darauf, er habe die Verletzungsbehandlung im Vollrausch vorgenommen, ist er für den behaupteten Vollrausch beweispflichtig. |
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Wenn Brandspuren auf das Entstehen des Feuers im Fahrgastraum hindeuten und technische Ursachen hierfür auszuschließen sind, ist von vorsätzlicher Brandstiftung auszugehen. |
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Der Kfz-Haftpflichtversicherer ist nicht eintrittspflichtig, wenn der Versicherungsnehmer seinen Freitod durch einen vorsätzlich herbeigeführten Zusammenstoß mit einem anderen Fahrzeug verursacht. |
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Handlungsweisen, die bei Erwachsenen im Allgemeinen auf einen Schädigungswillen hinweisen, können bei Kindern auf spielerischem Übermut beruhen, der den Schädigungsvorsatz ausschließt. |
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Wenn ein Dreizehnjähriger mutwillig einen Feuerlöscher in einer Kirche betätigt, ergibt sich daraus nicht zwangsläufig der Vorsatz in der Weise, dass die Schadenfolgen als möglich anerkannt und billigend in Kauf genommen worden sind. |