Rz. 227
In der Schadensversicherung führen Vorsatz zur völligen und grobe Fahrlässigkeit zur partiellen Leistungsfreiheit des Versicherers. § 81 VVG begründet keine allgemeine Schadenverhütungspflicht des Versicherungsnehmers, es handelt sich um einen subjektiven Risikoausschluss.
I. Definition
Rz. 228
Grob fahrlässig handelt, wer schon "einfachste, ganz nahe Überlegungen" nicht anstellt und in ungewöhnlich hohem Maße dasjenige unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen.
II. Objektive Voraussetzungen
Rz. 229
Ausgangspunkt für die Bestimmung der groben Fahrlässigkeit ist die gesetzliche Regelung für einfache Fahrlässigkeit (§ 276 BGB):
Zitat
"Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt".
Rz. 230
Der objektive Sorgfaltsmaßstab ist auf die allgemeinen Verkehrsbedürfnisse ausgerichtet; im Rechtsverkehr muss jeder grundsätzlich darauf vertrauen dürfen, dass der andere Vertragspartner die für die Erfüllung der allgemeinen Pflichten erforderlichen Fähigkeiten und Kenntnisse besitzt. Verletzt ein Versicherter die im Rechtsverkehr allgemein anerkannten und angewandten Sorgfaltspflichten in besonders schwerwiegendem Maße, so handelt er in objektiver Hinsicht grob fahrlässig.
III. Subjektive Voraussetzungen
Rz. 231
Während der Maßstab der einfachen Fahrlässigkeit ausschließlich objektiv ist, sind bei der groben Fahrlässigkeit auch subjektive, in der Individualität des Handelnden begründete Umstände zu berücksichtigen. Der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit ist nur dann begründet, wenn den Handelnden auch in subjektiver Hinsicht ein schweres Verschulden trifft. Im Rahmen der groben Fahrlässigkeit kommt es somit auch auf die persönlichen Fähigkeiten und Geschicklichkeiten, auf die berufliche Stellung, die Lebenserfahrung und den Bildungsgrad des Versicherten an.
Der Versicherer muss die grobe Fahrlässigkeit auch in subjektiver Hinsicht beweisen. Die Regeln des Anscheinsbeweises sind nicht anwendbar. Der objektive Geschehensablauf und das Maß der objektiven Pflichtverletzung sind jedoch Indizien für die subjektive Pflichtverletzung.
Behauptet der Versicherungsnehmer Schuldunfähigkeit wegen unerkannter Schlafapnoe (Sekundenschlaf) i.S.v. § 827 S. 1 BGB, so trifft den Versicherungsnehmer die Beweislast.
IV. Augenblicksversagen
Rz. 232
Der Bundesgerichtshof spricht von einem "Augenblicksversagen", wenn dem Versicherten ein "Ausrutscher" unterläuft, der auf "ein bei der menschlichen Unzulänglichkeit typisches einmaliges Versagen" zurückzuführen ist. In dem BGH-Urt. v. 5.4.1989 hatte die Versicherungsnehmerin vergessen, eine Herdplatte auszuschalten, so dass es zu einem schweren Brandschaden kam.
Auch das Vergessen von verschiedenen Handgriffen in einem zur Routine gewordenen Handlungsablauf kann als typischer Fall eines Augenblicksversagens angesehen werden, welches das Verdikt der groben Fahrlässigkeit nicht verdient. Schließlich nimmt der BGH in seiner Entscheidung vom 5.4.1989 noch Bezug auf ein Urt. v. 14.7.1986, in dem die grobe Fahrlässigkeit verneint wurde, obgleich der Versicherungsnehmer den Zweitschlüssel seines Fahrzeuges im Fahrzeuginneren belassen hatte, allerdings "aufgrund eines Versehens, das auch einem nicht besonders sorglos handelnden Versicherungsnehmer unterlaufen kann".
Diese Rechtsprechung hat einige OLG veranlasst, die grobe Fahrlässigkeit mit der Begründung zu verneinen, dass der Versicherungsnehmer "nur für einen Augenblick" versagt habe.
Rz. 233
Dieser Tendenz ist der BGH durch ein Grundsatzurteil zum Rotlichtverstoß entgegengetreten: Ein Augenblicksversagen allein entkräftet noch nicht den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit; es müssen vielmehr weitere Umstände hinzutreten, die den Grad des momentanen Versagens erkennen und in einem milderen Licht erscheinen lassen.
V. Alternatives Verhalten
Rz. 234
Bei der Überprüfung der groben Fahrlässigkeit ist es schließlich von Bedeutung, ob dem Versicherten ein alternatives Verhalten möglich und zumutbar war.
VI. Rechtsprechung
Rz. 235
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Kaskoversicherung
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Rotlichtverstoß |
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Zweitschlüssel im Handschuhfach |
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Übermüdung am Steuer |
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Alkoholbedingte absolute Fahruntüchtigkeit (ab 1,1 ‰) |
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Schmuck... |