Rz. 70
Der Versicherungsnehmer hat bei Abschluss des Vertrages alle ihm bekannten Gefahrumstände, nach denen der Versicherer in Textform gefragt hat, anzuzeigen. Nach Antragstellung besteht diese Anzeigeobliegenheit nur dann, wenn der Versicherer nochmals entsprechende Fragen gestellt hat (§ 19 Abs. 1 VVG). Wenn der Versicherungsnehmer seine Anzeigeobliegenheit verletzt, kann je nach Grad des Verschuldens der Versicherer
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den Vertag kündigen, |
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vom Vertrag zurücktreten, |
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eine Prämienerhöhung verlangen, |
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einen Risikoausschluss vereinbaren oder |
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den Vertag wegen arglistiger Täuschung anfechten. |
1. Einfache Fahrlässigkeit
Rz. 71
Verletzt der Versicherungsnehmer seine Anzeigeobliegenheit schuldlos oder nur mit "normaler" Fahrlässigkeit, kann der Versicherer den Vertrag unter Einhaltung einer Frist von einem Monat kündigen (§ 19 Abs. 3 S. 2 VVG). Die Kündigung ist ausgeschlossen, wenn der Versicherer den nicht angezeigten Gefahrumstand sowie die Unrichtigkeit der Anzeige kannte (§ 19 Abs. 5 S. 2 VVG).
Statt der Kündigung besteht auch die Möglichkeit,
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den Vertrag zu anderen Bedingungen mit Prämienerhöhung – rückwirkend – fortzusetzen, |
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den nicht angezeigten Gefahrumstand vom Versicherungsschutz auszuschließen. |
Rz. 72
Bei einer Prämienerhöhung um mehr als 10 % und einem Risikoausschluss, "kann der Versicherungsnehmer den Vertag innerhalb eines Monats nach Zugang der Mitteilung des Versicherers ohne Einhaltung einer Frist kündigen" (§ 19 Abs. 6 S. 1 VVG). Die Kündigung wirkt ex nunc, so dass der Versicherer für einen vor Wirksamkeit der Kündigung eingetretenen Versicherungsfall einzustehen hat.
2. Grobe Fahrlässigkeit
Rz. 73
Verletzt der Versicherungsnehmer seine Anzeigeobliegenheit grob fahrlässig, kann der Versicherer vom Vertrag zurücktreten (§ 19 Abs. 2 VVG). Das Rücktrittsrecht ist ausgeschlossen,
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wenn der Versicherer den Vertrag auch bei Kenntnis der angezeigten Umstände zu anderen Bedingungen geschlossen hätte (§ 19 Abs. 4 S. 1 VVG); |
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wenn der Versicherer den nicht angezeigten Gefahrumstand kannte (§ 19 Abs. 5 S. 2 VVG). |
Rz. 74
Statt des Rücktritts kann der Versicherer auch eine Vertragsanpassung durch Prämienerhöhung oder einem Risikoausschluss vereinbaren. Bei einer Erhöhung der Prämie um mehr als 10 % hat der Versicherungsnehmer ein "Gegenkündigungsrecht" (§ 19 Abs. 6 VVG). Durch den Rücktritt wird der Versicherungsvertrag ex tunc beseitigt. Gemäß § 346 Abs. 1 BGB sind die empfangenen Leistungen zurückzugewähren; dies gilt jedoch nicht für die Prämienzahlungen, da diese dem Versicherer bis zur Wirksamkeit der Rücktrittserklärung zustehen (§ 39 Abs. 1 S. 2 VVG).
3. Vorsatz
Rz. 75
Verletzt der Versicherungsnehmer seine Anzeigeobliegenheit vorsätzlich, kann der Versicherer ebenfalls vom Vertrag – rückwirkend – zurücktreten (§ 19 Abs. 2 VVG). Hier kommt eine Vertragsanpassung nicht in Betracht.
4. Arglist
Rz. 76
§ 22 VVG bestimmt ausdrücklich, dass bei arglistiger Täuschung dem Versicherer das Recht zusteht, einen Vertrag, der durch arglistige Täuschung zustande gekommen ist, anzufechten. Die Anfechtung des Vertrages führt zur Unwirksamkeit des Vertrages, gem. § 142 BGB von Anfang an ("ex tunc"). Der Versicherungsnehmer muss alle bislang erhaltenen Leistungen zurückgewähren, der Versicherer behält jedoch seinen Prämienanspruch bis zum Wirksamwerden seiner Anfechtungserklärung (§ 39 Abs. 1 S. 2 VVG).
5. Belehrung
Rz. 77
Der Versicherer kann sein Recht auf Kündigung oder Rücktritt gem. § 19 Abs. 5 S. 1 VVG nur ausüben, "wenn er den Versicherungsnehmer durch gesonderte Belehrung in Textform auf die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung hingewiesen hat". Eine Belehrung ohne Hinweis auf die Folgen leichtfahrlässigen Handelns ist unzureichend und daher unwirksam. Der Versicherer genügt seiner Hinweispflicht nicht, wenn der Hinweis in normalem Druck und derselben Schriftgröße wie der übliche Text gehalten ist. Fettdruck und optischer Hinweis mit einem Pfeil genügen.
Das Erfordernis der Belehrung entfällt bei Arglist.
6. Nachfrageobliegenheit
Rz. 78
Wenn ein Versicherungsnehmer die Antragsfragen des Versicherers unklar beantwortet, besteht eine Nachfrageobliegenheit, insbesondere dann, wenn diese Angaben entsprechende Erkundigungen des Versicherers nahe legen. Diese Nachfrageobliegenheit hat auch ein Direktversicherer. Wenn der Versicherer bei ersichtlich unvollständigen oder unklaren Angaben keine Rückfrage hält, liegt keine ordnungsgemäße Risikoprüfung vor, so dass der Versicherer nicht wirksam vom Versicherungsvertrag zurücktreten kann. Demgegenüber ist es einem Versicherungsnehmer nicht möglich, bei arglistiger Falschbeantwortung von Antragsfragen sich auf eine Verletzung der Nachfrageobliegenheit des Versicher...