Rz. 51
Die Regelung des § 181 BGB, das Verbot des sog. Insichgeschäfts bzw. die Möglichkeit der Befreiung von diesem Verbot darf (auch) bei der Vorsorgevollmacht nicht unterschätzt werden. Ein sog. Insichgeschäft liegt vor, wenn der Bevollmächtigte im Namen des Vollmachtgebers ein Rechtsgeschäft
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mit sich im eigenen Namen – also mit sich selbst – (Selbstkontrahieren, § 181 Alt. 1 BGB) oder |
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mit einem Dritten als dessen Vertreter (sog. Doppel-/Mehrfachvertretung, § 181 Alt. 2 BGB) |
vornimmt. Solche Insichgeschäfte sind nur zulässig, wenn
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sie der Vollmachtgeber (durch Rechtsgeschäft, bspw. bei der Bevollmächtigung) gestattet oder |
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das Rechtsgeschäft ausschließlich in der Erfüllung einer Verbindlichkeit besteht; die Verbindlichkeit – gleich ob eine Verbindlichkeit des Vollmachtgebers oder des Bevollmächtigten bzw. eines Dritten – muss formwirksam begründet, fällig und darf nicht mit Einreden des Vollmachtgebers behaftet sein. |
Rz. 52
Bei der Vorsorgevollmacht stellt sich die Frage, ob Insichgeschäfte zu gestatten oder gar (ausdrücklich) nicht zu gestatten sind. Die Gestattung von Insichgeschäften ist ein einseitiges Rechtsgeschäft des Vollmachtgebers gegenüber dem Bevollmächtigten (bei der Doppel-/Mehrfachvertretung alternativ auch gegenüber dem anderen Vertragspartner). Da Insichgeschäfte nach dem Gesetz grundsätzlich verboten sind, ist die Gestattung eine – wenn auch übliche – Erweiterung der allgemeinen Vertretungsmacht, auch bei einer Generalvollmacht! Die Gestattung bedarf keiner Form, insbes. nicht der Form des vorzunehmenden Rechtsgeschäfts. Die Gestattung kann auch konkludent erfolgen (Frage der Auslegung, die Verkehrssitte ist zu beachten). Es gibt keinen Satz dahingehend, dass bei einer Generalvollmacht i.d.R. von einer Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB ausgegangen werden kann!
Rz. 53
Soll der Bevollmächtigte von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit werden, sollte dies ausdrücklich geregelt werden, damit die Auslegungsfrage gar nicht erst aufkommt. Eine andere Frage ist die, ob auch die negative Entscheidung (keine Befreiung) ausdrücklich geregelt werden soll; dafür spricht das Ziel, eine eindeutige, nicht auslegungsbedürftige Vollmacht zu erstellen/erteilen (siehe daher die Alternative in § 3 in den Grundmustern I und II, Rdn 8 und Rdn 9). Auf der anderen Seite sollte Fällen, in denen eine Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB unter Berücksichtigung des hypothetischen Willens des Vollmachgebers gewünscht ist, durch eine ausdrückliche negative Entscheidung nicht der Lösungsweg über die Auslegung versperrt werden (siehe dazu Rdn 59).
Rz. 54
Während ein generelles bzw. grundsätzliches Bedürfnis für eine Befreiung für den gesellschaftsrechtlichen Bereich anerkannt ist, wird ein entsprechendes Bedürfnis im privaten und familiären Bereich teilweise nicht ausgemacht. Bei der Beratung einer Vorsorgevollmacht gehört die Frage, ob Insichgeschäfte zu gestatten sind, neben den Fragen, ob Schenkungen einzuschränken oder gar zu verbieten sind (siehe dazu Rdn 96, 97) und wann die Vollmacht wirksam wird bzw. wann der Bevollmächtigte die Vollmacht/Ausfertigung erhält (siehe dazu Rdn 186 ff.), zu den drei Kernfragen, die der Berater mit dem Vollmachtgeber sorgfältig zu erörtern hat. Renner/Braun weisen zu Recht darauf hin, dass der Berater dem Vollmachtgeber nicht nur die "Vorteile" der Gestattung aufzuzeigen habe, sondern auch die mit der Gestattung verbundenen Risiken vor Augen führen müsse – vor allem, wenn auch Schenkungen möglich seien: Das bevollmächtigte Kind könne das Haus der Eltern unentgeltlich auf sich selbst übertragen. Das ist richtig. Hier sei aber auch der umgekehrte Hinweis gestattet: Während die Risiken i.d.R. schnell verstanden sind und auf diese auch in der Vollmacht hingewiesen wird (siehe § 3 in den Grundmustern I und II, Rdn 8 und Rdn 9), sind die "Vorteile" der Gestattung bzw. die Nachteile einer fehlenden Gestattung – ebenso wie die Nachteile einer ausgeschlossenen Unterbevollmächtigung (siehe dazu Rdn 64 ff.) – dem Vollmachtgeber und mitunter auch dem Berater nicht so sehr bewusst.
Rz. 55
Praxishinweis: Befreiung/keine Befreiung von § 181 BGB
Auf der einen Seite muss dem Vollmachtgeber bewusst sein bzw. bewusst gemacht werden, dass der von den Beschränkungen des § 181 BGB befreite Bevollmächtigte bspw. das Haus des Vollmachtgebers und/oder bspw. dessen Bankvermögen auf sich selbst übertragen kann, und zwar – so ihm keine Schenkungen verboten sind – unentgeltlich.
Auf der anderen Seite muss ihm auch bewusst gemacht werden, dass der Bevollmächtigte bei fehlender Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB
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bspw. das Haus und/oder bspw. das Bankvermögen des Vollmachtgebers eben nicht auf sich selbst übertragen kann |
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mit sich selbst keinen Pflegevertrag oder dergleichen für den Vollmachtgeber abschließen kann |
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die Löschung des bspw. auf der vom Vollmachtgeber dem Bevollmächtigten im Wege vorweggenommener Erbfolge übergebenen Immobilie la... |