Isabelle Losch, Gabriela Hack
Rz. 184
Mit Wirkung zum 22.7.2017 wurde § 1906a BGB a.F. neu eingeführt mit der Regelung, unter welchen Voraussetzungen ein Betreuer bzw. über Abs. 5 ein Bevollmächtigter für den Betroffenen in eine ärztliche Zwangsmaßnahme einwilligen kann. Mit der Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts wurde § 1906a BGB a.F. zum 1.1.2023 von § 1832 BGB abgelöst. Per Legaldefinition des § 1832 Abs. 1 S. 1 BGB handelt es sich bei einer Untersuchung des Gesundheitszustands, einer Heilbehandlung oder einem ärztlichen Eingriff gegen den natürlichen Willen des Betreuten bzw. Vollmachtgebers um eine ärztliche Zwangsmaßnahme.
Die Vorschrift gilt nicht nur für Maßnahmen im Rahmen einer freiheitsentziehenden Unterbringung.
Rz. 185
Für eine rechtsgeschäftliche Vertretung muss die Vollmacht schriftlich erteilt sein und die ärztlichen Zwangsmaßnahmen ausdrücklich umfassen (§ 1820 Abs. 2 BGB).
Rz. 186
Für eine Einwilligung in eine solche medizinische Behandlung durch den Bevollmächtigten müssen die Voraussetzungen des § 1832 Abs. 1 BGB kumulativ vorliegen. Diese sind:
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Die ärztliche Zwangsmaßnahme ist notwendig, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden von dem Betroffenen abzuwenden (§ 1832 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB). Mit der Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts zum 1.1.2023 wurde der Zusatz "Wohl des Betreuten" im Gesetzestext gestrichen, was inhaltlich jedoch ohne Bedeutung ist, sondern lediglich eine Distanzierung von dem bevormundenden Wesen im Betreuungsrecht hin zum Prinzip der Selbstbestimmung zum Ausdruck bringen soll. Der Betroffene ist selbst einwilligungsunfähig, d.h. er kann aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln (§ 1832 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB). |
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Sofern der Betroffene eine Patientenverfügung errichtet hatte, muss die ärztliche Zwangsmaßnahme seinem nach § 1827 BGB zu beachtenden Willen entsprechen (§ 1832 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BGB), d.h. die Maßnahme darf dem früher geäußerten Willen nicht widersprechen. |
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Zuvor wurde versucht, den Betroffenen von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu überzeugen (§ 1832 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BGB). Der Überzeugungsversuch muss ernsthaft, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Druck unternommen werden. |
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Der erhebliche gesundheitliche Schaden ist durch keine andere den Betroffenen weniger belastende Behandlungsmaßnahme abzuwenden (§ 1832 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 BGB). |
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Der zu erwartende Nutzen der ärztlichen Zwangsmaßnahme überwiegt die zu erwartenden Beeinträchtigungen deutlich (§ 1832 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 BGB). |
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Die ärztliche Zwangsmaßnahme darf ausschließlich im Rahmen eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus, in dem die gebotene medizinische Versorgung nebst einer eventuell erforderlichen Nachbehandlung sichergestellt ist, durchgeführt werden (§ 1832 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 BGB). Somit scheiden eine ambulante Zwangsbehandlung in einem Krankenhaus sowie eine Zwangsbehandlung in einem Alten- und Pflegeheim generell aus. |
Rz. 187
Kommt eine ärztliche Zwangsmaßnahme in Betracht, kann der Betroffene unter den Voraussetzungen des § 1832 Abs. 4 BGB gegen seinen natürlichen Willen zu einem stationären Aufenthalt in ein Krankenhaus verbracht werden.
Rz. 188
Nach § 1832 Abs. 2 BGB bedarf die Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme stets der vorherigen Genehmigung des Betreuungsgerichts, und zwar auch dann, wenn der Betroffene in seiner Patientenverfügung diesen Maßnahmen zugestimmt hat.
Rz. 189
Ärztliche Zwangsmaßnahmen gemäß § 1832 BGB sind vom Ehegattenvertretungsrecht nicht umfasst.