Rz. 25
In der Praxis kommt es regelmäßig vor, dass der Berechtigte auf die (in der Regel auf Lebenszeit) vorbehaltene Nutzung oder Leistung verzichtet, so dass der Erwerber vorzeitig in den lastenfreien Genuss der Immobilie kommt. Ein solcher vorzeitiger unentgeltlicher Verzicht erfüllt den Tatbestand der freigebigen Zuwendung i.S.d. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG, deren schenkungsteuerliche Bewertung sich zum Stichtag des Verzichts i.S.d. § 9 ErbStG nach den oben dargestellten Grundsätzen richtet (siehe Rdn 7 ff.>).
Rz. 26
Beim Nießbrauchsverzicht kann es dabei aufgrund zwischenzeitlich gestiegener Mieten und eines damit einhergehenden erhöhten Jahreswerts – trotz niedrigeren Vervielfältigers – zu einer unerwartet hohen Schenkungsteuer kommen. Gleiches gilt, wenn die ursprüngliche Deckelung des Jahreswerts gem. § 16 BewG (siehe Rdn 16>) aufgrund zwischenzeitlich gestiegenen Verkehrswerts nicht mehr greift. Ist der Verzichtende gleichzeitig der ursprünglich Überlassende, ist insbesondere die Regelung des § 14 ErbStG (siehe § 7 Rdn 4>) zu beachten.
Rz. 27
Ist das Nießbrauchsrecht bei der Besteuerung des ursprünglichen Erwerbs des nutzungsrechtsbelasteten Gegenstands – etwa wegen Vermietung zu Wohnzwecken gem. § 13d ErbStG – aufgrund der Abzugsbeschränkung des § 10 Abs. 6 ErbStG (teilweise) tatsächlich unberücksichtigt geblieben (siehe Rdn 31>), wird die Doppelerfassung des Nutzungsrechts bei einem Verzicht nach dem BFH konsequent vermieden: Der Teil des Steuerwerts des Nutzungsrechts, welcher bei der Besteuerung des Erwerbs nicht zum Abzug zugelassen wurde, wird bei der Besteuerung des Erwerbs aus dem Rechtsverzicht vom Steuerwert des Nutzungsrechts im Zeitpunkt des Verzichts abgezogen.
Rz. 28
Für Erbfälle, die vor dem 1.1.2009 eingetreten sind, und für Schenkungen, die vor diesem Zeitpunkt ausgeführt worden sind, wurde bei einem Übergang eines Vermögensgegenstands mit einer dinglichen Last (z.B. Vorbehaltsnießbrauch) zugunsten des Schenkers oder dessen Ehegatten gem. § 25 ErbStG aF deren Abzug ausgeschlossen. Die Steuer wurde konsequent für den gesamten Erwerbswert festgesetzt, aber bezüglich des auf die dingliche Last fallenden Werts bis zu deren Erlöschen zinslos gestundet, § 25 Abs. 2 ErbStG aF. Die gestundete Steuer konnte bzw. kann jederzeit auf Antrag abgelöst werden. In diesem Fall ist (nur) der auf die Laufzeit der dinglichen Last abgezinste Betrag zu entrichten, der sich an der durchschnittlichen Lebenserwartung des Berechtigten orientiert. In den meisten Fällen war die sofortige abgezinste Ablösung der zinslosen Stundung vorzuziehen, da in Fällen eines vorzeitigen Erlöschens der Belastung durch Tod des Begünstigten, dessen Verzicht oder Veräußerung des belasteten Gegenstandes Zinsnachteile entstehen.
Rz. 29
Verzichtet nun der Berechtigte unentgeltlich auf ein nach § 25 Abs. 1 ErbStG a.F. vorbehaltenes Nießbrauchsrecht, erfüllt dies als Rechtsverzicht den Tatbestand der Schenkung i.S.d. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. Eine Doppelerfassung des Nießbrauchsrechts – sowohl bei der Nichtberücksichtigung als Abzugsposten nach § 25 Abs. 1 S. 1 ErbStG a.F. als auch beim späteren Verzicht des Berechtigten – ist nach dem BFH bei der Besteuerung des Nießbrauchsverzichts durch den Abzug des bei der Besteuerung des Erwerbs des nießbrauchsbelasteten Gegenstandes tatsächlich unberücksichtigt gebliebenen (Steuer-)Werts des Nutzungsrechts von der Bemessungsgrundlage (Steuerwert) für den Rechtsverzicht zu beseitigen. Der Anteil am Wert des Nießbrauchs, der bei der Festsetzung der Schenkungsteuer für den Anteilserwerb nicht von der Bemessungsgrundlage der Steuer abgezogen wurde, ist nicht in die Bemessungsgrundlage der Steuer für den Nießbrauchsverzicht einzubeziehen.
Rz. 30
Der vorzeitige entgeltliche Verzicht (z.B. auch Verkauf der mit Nießbrauch belasteten Immobilien, wobei der Nießbrauch mit seinem aktuellen Wert (siehe Rdn 7 ff.>) an den Nießbraucher ausbezahlt wird) ist schenkungsteuerlich neutral (zur Einkommensteuer siehe § 12 Rdn 3>).