Rz. 70
Im Rahmen eines Zwangsversteigerungsverfahrens gilt § 9 Abs. 1 EGZVG i.V.m. den Ausführungsgesetzen der Länder (Versteigerungsprivileg). Es stellt sich auch zunächst hier die Frage, welche Anforderungen an den Leibgedingbegriff zu stellen sind.
Nach einer Ansicht ist es in formeller Hinsicht nicht erforderlich, dass der Leibgedingvertrag im Grundbuch als solcher wörtlich bezeichnet ist. Ergibt sich aus der Eintragungsbewilligung hinreichend deutlich der Charakter als Altenteilsvertrag, sei dies ausreichend. Nach a.A. ist die ausdrückliche Eintragung als Leibgeding im Grundbuch erforderlich. Dies wird damit begründet, dass das formalisierte Zwangsversteigerungsverfahren nicht dazu geeignet sei, Beweisermittlungen durchzuführen und damit andere Versteigerungsbedingungen zu beachten wären.
Den Gläubigerschutz wird man jedoch im Hinblick auf die Bedeutung eines Leibgedings nicht so weit treiben dürfen. Es ist als ausreichend anzusehen, wenn man dem eingetragenen Recht im Wege der Auslegung entnehmen kann, dass es sich um ein Leibgeding handelt. Es findet demgemäß im Zwangsversteigerungsverfahren keine umfassende materiellrechtliche Prüfung statt, ob ein Leibgedingvertrag im eigentlichen Sinne vorliegt. Hiermit wären die Vollstreckungsorgane überfordert. Es genügt demgemäß, wenn es sich um eine Bündelung von Rechten handelt, die typischerweise zu Versorgungszwecken als Altenteil im Grundbuch eingetragen werden. Im Rahmen der Anwendbarkeit des § 49 GBO ist es hingegen unerheblich, ob bzw. welche schuldrechtlichen Vereinbarungen die Parteien neben der dinglichen Absicherung getroffen haben.
Rz. 71
Dieses Vollstreckungsprivileg wurde in den alten Bundesländern bis auf Bremen und Hamburg umgesetzt. In den neuen Bundesländern wurde es lediglich in Thüringen umgesetzt. Danach soll eine Dienstbarkeit oder eine Reallast, sollte sie als Altenteil eingetragen sein, auch dann bestehen bleiben, wenn das Altenteil dem Rang des die Zwangsversteigerung betreibenden Gläubigers nachgeht und somit bei der Feststellung des geringsten Gebots ansonsten nicht berücksichtigt werden würde. Dies kann jedoch vom beeinträchtigten Gläubiger mit einem Antrag nach § 9 Abs. 2 EGZVG konterkariert werden. Der Gläubiger kann beantragen, dass das Erlöschen des Altenteils als Versteigerungsbedingung festgelegt wird. Dies ist dann möglich, wenn durch das Fortbestehen des Altenteils ein dem Altenteil vorgehendes oder auch gleichgestelltes Recht beeinträchtigt wird. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn aufgrund eines bestehen bleibenden Altenteils geringere Gebote abgegeben werden und aufgrund deren Baranteils vorgehende Rechte nicht bzw. nicht vollständig befriedigt werden. Diese dann benachteiligten Gläubiger werden demgemäß regelmäßig einen Antrag nach § 9 Abs. 2 ZVG stellen, was dann zu einem Doppelausgebot führt. Doppelausgebot heißt, dass das Grundstück sowohl unter der Bedingung des Bestehenbleibens des Altenteils als auch unter der Bedingung, dass es erlischt, ausgeboten wird. Interessenten können auf beide Ausgebote bieten. Wenn der Antragsteller durch das Gebot, das unter der Bedingung steht, dass das Altenteil erlischt, eine bessere Deckung seines Rechts erzielt, ist diesem der Zuschlag zu erteilen. Führen jedoch beide Gebote dazu, dass die Rechte des Antragstellers voll abgedeckt werden, ist dem Gebot unter der Bedingung des Bestehenbleibens des Altenteils der Zuschlag zu erteilen.
Rz. 72
Im Falle, dass das Leibgeding erlöschen würde, hat der Berechtigte die Möglichkeit, selbst mitzusteigern. Nach Ansicht des BGH verstößt es nicht gegen Treu und Glauben, wenn der Leibgedingberechtigte, sollte er den Zuschlag erhalten, das Grundstück sofort zu einem höheren Preis veräußern würde, sofern die Erträge nicht ausreichen würden, um seine Forderung zu befriedigen, und darüber hinaus eine Vollstreckung gegen den persönlichen Schuldner auf absehbare Zeit keine Aussicht auf Erfolg biete.