Rz. 202
Zumindest fünf Grundsätze beherrschen das Erbrecht des BGB:
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die Privaterbfolge |
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das Familien- und Verwandtenerbrecht |
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die Testierfreiheit |
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der Vonselbsterwerb und |
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die Universalsukzession. |
Neben das in den §§ 1931 ff. BGB geregelte Ehegattenerbrecht tritt die in den §§ 1924 ff. BGB normierte unbegrenzte Blutsverwandtenerbfolge.
Das Erbrecht hat sich aus dem Familienrecht entwickelt; Universalsukzession und Verwandtenerbfolge stehen in einer historisch gewachsenen Beziehung zueinander, obwohl sie sich logisch nicht gegenseitig bedingen.
Im römischen Recht, wo die Universalsukzession ihre Wurzeln hat, hing sie mit dem Gedanken des Familieneigentums zusammen. Das Familiengut unterstand der freien Verfügungsgewalt des pater familias (analog der munt des germanischen Rechts). Mit seinem Tod ging das ganze Vermögen auf die ihm zu seinen Lebzeiten gewaltunterworfenen Kinder über; ihre bisher schon latent vorhandene Mitberechtigung am Familiengut trat jetzt offen zutage. Der Vermögensübergang trat ohne rechtsgeschäftlichen Vorgang uno actu ein und bezog sich auf das ganze Familiengut. – Dies galt für das gesetzliche Erbrecht. Als sich später der Gedanke der Testierfreiheit durchsetzte, wurde diese Denkfigur auf jede Art des Vermögensübergangs von Todes wegen übertragen.
Im altdeutschen Recht war die Familiengebundenheit des Eigentums wohl noch stärker ausgeprägt als im römischen Recht. Trotzdem hat sich dort die Universalsukzession nicht durchgesetzt. Dies zeigt, dass Familienerbfolge und Universalsukzession nicht zwingend zusammen gehören.
Das Ehegattenerbrecht ist in § 1931 BGB geregelt, der Ehegatte gehört nicht zu den einzelnen Erbenordnungen. Die gesetzliche Erbfolge tritt lediglich subsidiär ein, wenn der Erblasser keine Erben durch Verfügung von Todes wegen benannt hat. Dies folgt aus der verfassungsrechtlich garantierten Testierfreiheit (Art. 14 GG). Die gewillkürte Erbfolge hat also Vorrang vor der gesetzlichen. Hat der Erblasser keine Verfügung von Todes wegen errichtet hat oder ist sie – aus welchen Gründen auch immer – nicht rechtswirksam, so tritt die gesetzliche Erbfolge ein.
Rz. 203
Gleiches gilt, wenn der Erbe die Erbschaft ausgeschlagen hat (§ 1953 BGB) und ein Ersatzerbe nicht ermittelt werden kann (§ 2069 BGB). Bei der Ermittlung des Erben sind die gesetzlichen Vermutungsregeln für die Ersatzerbenbestimmung (§ 2069 BGB), die Anwachsung (§ 2094 BGB) und die Vererblichkeit des Nacherbenanwartschaftsrechts (§ 2108 Abs. 2 BGB) zu beachten. Sie greifen aber erst dann ein, wenn durch Auslegung kein konkreter Wille des Erblassers ermittelt werden kann, denn der Erblasserwillen hat absolute Priorität (Testierfreiheit).
Rz. 204
Gesetzliche und gewillkürte Erbfolge können aber auch gleichzeitig eintreten, falls der Erblasser beispielsweise nur bezüglich eines Teils seines Nachlasses ein Testament errichtet hat. Für den Rest des Nachlasses gilt dann die gesetzliche Erbfolge.
Rz. 205
Das gesetzliche Erbrecht der 1. bis 3. Ordnung kennt das Parentelsystem (lat.: parentes = Eltern). Danach wird der Nachlass nach Stämmen und nicht nach der Anzahl der Personen geteilt. Die Zahl der Stämme richtet sich nach der Zahl der Kinder (§ 1924 Abs. 4 BGB: "Kinder erben zu gleichen Teilen"). Jedes Kind repräsentiert einen Stamm. Ab der 4. Erbenordnung erben hingegen gemäß dem in § 1928 BGB geregelten Gradualsystem Verwandte im gleichen Verwandtschaftsgrad zu gleichen Teilen.