Rz. 181
Gemäß § 2346 Abs. 1 BGB können die zu gesetzlichen Erben berufenen Verwandten und der Ehegatte auf das gesetzliche Erbrecht verzichten. Ein Erbverzicht umfasst dem Wortlaut des Gesetzes nach auch einen Pflichtteilsverzicht. Es wird in der Regel angenommen, dass der Verzichtende auch auf sein Pflichtteilsrecht verzichten will (§ 2346 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BGB). Dennoch ist es nach herrschender Ansicht möglich, dass der Verzichtende sich entgegen dem Wortlaut des § 2346 BGB sein Pflichtteilsrecht vorbehält. Nach § 2346 Abs. 2 BGB kann der Verzicht auf den Pflichtteil beschränkt werden. Dies ist für die Praxis ein sehr wichtiger Fall eines Verzichts – denn das gesetzliche Erbrecht könnte der Erblasser auch ohne Vertrag mit dem Erben durch einseitiges Testament gem. § 1938 BGB ausschließen, dazu bedarf es keines Vertrages zwischen Erblasser einerseits und gesetzlichem Erben andererseits.
Rz. 182
Der Erbverzicht führt dazu, dass der Verzichtende im Erbfall so zu behandeln ist, als wäre er bereits vor dem Erblasser verstorben. Der Erbverzicht erstreckt sich im Zweifel auf die Abkömmlinge des Verzichtenden und schließt damit den ganzen Stamm des Verzichtenden von der Erbfolge aus. Ein Erbverzicht wirkt sich jedoch nicht in umgekehrter Richtung aus. Stirbt also der Enkel eines nach § 2349 BGB verzichtenden Kindes, so werden die Großeltern Erben, wenn die Eltern bereits vorverstorben sind.
Rz. 183
Beispiel
Erblasser E hinterlässt seine Ehefrau F sowie seine drei Kinder K1, K2 und K3. F und K1 haben einen Erbverzichtsvertrag geschlossen. K1 hinterlässt ein Kind, den Enkel E1. K2 ist vorverstorben, er hinterlässt ebenfalls ein Kind, den Enkel E2.
Erben werden Kind K3 und der Enkel E2, der an die Stelle seines verstorbenen Vaters tritt. Der Erbverzicht von K1 erstreckt sich gemäß § 2349 BGB auch auf seinen Abkömmling E1. Die Ehefrau F hat ebenfalls einen Erbverzicht abgegeben und scheidet deshalb von der Erbfolge aus. Durch diese Erstreckenswirkung des § 2349 BGB auf die Abkömmlinge unterscheidet sich der Erbverzicht von den anderen Gründen (z.B. Erbunwürdigkeit), die zum Wegfall eines Erben führen können.
Rz. 184
Ein in der Praxis auftretendes Problem ist die Frage nach der Aufhebung des Erb- und Pflichtteilsverzichts gemäß § 2351 BGB zu Lebzeiten der Parteien, wenn ein Abkömmling den Erb- und Pflichtteilsverzicht angesichts einer Erbauseinandersetzung unter Miterben abgegeben und von der Erbengemeinschaft dafür eine Abfindung erhalten hat. In diesem Fall ist unklar, ob die Miterben, die die Abfindung gezahlt haben, der Aufhebung des Erbverzichts zustimmen müssen. Vgl. zur Aufhebung eines Erbverzichts mit Drittwirkung Kuchinke, ZEV 2000, 169.
Rz. 185
Beispiel
Erblasser E verstirbt und hinterlässt seine Ehefrau F sowie die Kinder K1 und K2. Der Nachlass besteht im Wesentlichen aus einem Betrieb und einem Privatgrundstück. Es tritt gesetzliche Erbfolge ein. Die Erbengemeinschaft setzt sich so auseinander, dass Kind K1 einen Erb- und Pflichtteilsverzicht gegenüber der Mutter abgibt und dafür aus dem Nachlass des E eine Abfindung erhält. Zugleich schließt die Mutter einen Erbvertrag mit K2, in dem sie ihm im Wege des Vermächtnisses ihre Anteile am Betrieb zuwendet. Zwei Jahre später heben die Mutter und K1 ihren Erb- und Pflichtteilsverzichtsvertrag auf. Die Mutter setzt sodann Kind K1 zum Alleinerben ein.
Da der Erbverzichtsvertrag nur zwischen der Ehefrau F und den Verzichtenden geschlossen wurde, war die Aufhebung wirksam. Sie bedurfte auch nicht der Zustimmung von Kind K2. Allerdings ist Kind K2 möglicherweise berechtigt, die aus dem Nachlass des E geleistete Abfindungszahlung nach § 812 BGB zurückzuverlangen.
Rz. 186
Strittig ist, ob der Erbverzichtsvertrag nur zu Lebzeiten des Verzichtenden aufgehoben werden kann oder ob das Aufhebungsrecht selbst auch auf die Erben (Abkömmlinge) des Verzichtenden übergeht. Nach Ansicht des BGH sowie eines Teils der Literatur kann der Erbverzicht nach dem Tode des Verzichtenden nicht mehr aufgehoben werden. Dem wird jedoch zu Recht entgegengehalten, dass es bei dem Verzicht nicht um eine Regelung für den Fall des Todes des Verzichtenden geht, sondern für den Fall des Todes des Erblassers. Die Rechtsklarheit ist daher nicht gefährdet. Im Übrigen könnten die veränderten familiären Umstände eine Aufhebung erforderlich machen.
Fraglich ist ferner, inwieweit ein erbvertraglich gebundener Erblasser einen Aufhebungsvertrag gem. § 2351 BGB schließen kann. Dafür spricht, dass es sich um ein Rechtsgeschäft unter Lebenden handelt, so dass § 2289 Abs. 1 S. 2 BGB nicht greift. Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn die Vertragserben an dem Vertrag, in welchem der Erbverzicht vereinbart wurde, selbst beteiligt waren und unter Berücksichtigung der weiteren Regelungen im Vertrag davon ausgehen durften, dass der Erb- und damit einhergehende Pflichtteilsverzicht nicht mehr ohne ihre Mitwirkung aufgehoben wird.
Selbst wenn der erbvertraglich gebundene Erblasser jedoch zum Abschl...