Rz. 260
Der Verwalter ist berechtigt und verpflichtet, Beschlüsse der Wohnungseigentümer durchzuführen. Das ergibt sich aus seiner Funktion als Vollzugsorgan der Gemeinschaft. Er muss, sofern die Finanzierung gesichert ist und wenn nichts anderes beschlossen wurde, gefasste Beschlüsse ohne Rücksicht auf Erforderlichkeit und Dringlichkeit des beschlossenen Vorgehens unverzüglich durchführen; er hat insoweit kein Ermessen. Dass die überstimmte Minderheit mit dem Beschluss nicht einverstanden ist, ändert nichts: "Zu den Pflichten des Verwalters gehört es, mehrheitlich gefasste Beschlüsse auch gegen den erklärten Willen der Minderheit umzusetzen." Das gilt auch bei einer (drohenden oder bereits erfolgten) Anfechtung. Denn auch anfechtbare und angefochtene Beschlüsse sind gem. § 23 Abs. 4 S. 2 WEG gültig und deshalb zu vollziehen, solange sie nicht rechtskräftig für ungültig erklärt wurden (bzw., solange keine gerichtliche Suspendierung im Wege der einstweiligen Verfügung erfolgte). Opponierende Wohnungseigentümer müssen deshalb ggf. versuchen, den Sofortvollzug mittels einer einstweiligen Verfügung zu stoppen (→ § 2 Rdn 61). Jeder Wohnungseigentümer kann aus eigenem Recht gem. § 18 Abs. 2 WEG den Beschlussvollzug verlangen und erforderlichenfalls mit einer Leistungsklage durchsetzen. Der Anspruch richtet sich zwar gegen die Gemeinschaft und nicht gegen den Verwalter, aber es ist unverändert der Verwalter, der die Leistung zu erbringen hat.
Rz. 261
Praxistipp
Viele Verwalter warten vor der Ausführung umstrittener Maßnahmen (z.B. vor der Einleitung rechtlicher Schritte gegen Dritte oder gegen Miteigentümer) die Bestandskraft der zugrunde liegenden Beschlüsse ab. Davon ist angesichts der Pflicht zum Sofortvollzug abzuraten. Stattdessen ist dem Verwalter zu empfehlen, in Zweifelsfällen (in denen eine Beschlussanfechtung zu befürchten ist) eine Weisung der Gemeinschaft zum Beschlussvollzug beschließen zu lassen (→ § 4 Rdn 51).
Rz. 262
Es stellt sich die Frage, was ein Verwalter tun kann, wenn die Beschlussausführung (oder das Unterlassen einer erforderlichen Beschlussfassung) ihn zu einem rechtswidrigen Handeln zwingen und der Gefahr von zivilrechtlicher Haftung, Strafverfolgung oder der Auferlegung von Bußgeldern aussetzen würde. Beispiele:
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Beschluss, dass eine Erhaltungsmaßnahme unter Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften, insbesondere gegen die Vorschriften des GEG (früher: EnEV), durchgeführt werden soll. |
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(Negativ-)Beschluss, mit dem die Gemeinschaft es ablehnt, ein Unternehmen mit den Überprüfungen nach der Trinkwasserverordnung oder mit der Durchführung des Winterdienstes zu beauftragen. |
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(Negativ-)Beschluss, mit dem die Gemeinschaft es trotz abgelaufener Eichfrist ablehnt, Zähler auszuwechseln (Verstoß gegen das MessEG). |
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Beschluss, einen Aufzug trotz Sicherheitsmängeln weiterlaufen zu lassen. |
Nach Auffassung des Gesetzgebers ist die Antwort einfach: "Eines Klagerechts bedarf der Verwalter auch nicht gegen Beschlüsse, durch deren Ausführung er eine strafbare Handlung oder eine Ordnungswidrigkeit begehen würde oder er sich ersatzpflichtig machen würde. Denn in diesen Fällen ist er schon aus materiell-rechtlichen Gründen nicht zur Beschlussausführung verpflichtet (vergleiche §§ 134, 242, 275 BGB)." In der Praxis ist es aber nicht immer eindeutig, ob ein Beschluss nichtig ist oder nicht. Hier bleibt dem Verwalter als Ausweg häufig nur die Amtsniederlegung, für die in einem solchen Fall ein wichtiger Grund vorliegt.
Rz. 263
Nichtige Beschlüsse muss bzw. darf der Verwalter grundsätzlich nicht ausführen. Dieser Grundsatz ist indes reine Theorie, denn ob ein Beschluss nichtig ist, steht erst nach einer entsprechenden gerichtlichen Entscheidung fest. Wüsste der Verwalter schon zuvor um die Nichtigkeit, würde er darüber gar nicht erst abstimmen lassen. Zutreffend urteilte das LG Dortmund: "Hinsichtlich der Ausführungspflicht ändert die Nichtigkeit eines Beschlusses nichts, weil das Gesetz in diesem Zusammenhang keine Differenzierung zwischen einer bloßen Anfechtbarkeit und Nichtigkeit vornimmt. […] Im Regelfall kann der Ausführungspflichtige erst im Nachhinein nach rechtlichem Hinweis des Gerichts erkennen, ob sich ein Beschluss als nichtig oder bloß anfechtbar darstellt, jedenfalls dann, wenn die zum Streit gestellte Problematik vorher noch nicht erkennbar entschieden worden war." Der Beschlussvollzug stellt folglich in solchen Fällen keine Pflichtverletzung dar.
Rz. 264
Bei der Durchführung von Beschlüssen sind (selbstverständlich) der (Mehrheits-)Wille und das Interesse der Wohnungseigentümer zu beachten. Der Wille der Wohnungseigentümer ergibt sich aus dem Beschluss selbst, aber auch aus den zur Vorbereitung der Beschlussfassung vorgelegten Unterlagen. Der Verwalter muss mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns vorgehen. Die zur Beschlussdurchführung erforderliche Vertretungsmacht hat der Verwalter kraft Gesetzes (§ 9b Abs. 1 WEG).