Rz. 69

Der Pflichtverteidiger muss sich grundsätzlich alle Zahlungen des Beschuldigten oder eines Dritten (z. B. des Ehegatten) an ihn auf die ihm aus der Staatskasse zustehende Vergütung anrechnen lassen. Dabei ist es gleichgültig, ob die Zahlungen vor oder nach der Beiordnung erfolgt sind. Sind die Zahlungen erst erfolgt, nachdem der RA Gebühren aus der Staatskasse erhalten hat, so ist er zur Rückzahlung an die Staatskasse verpflichtet (§ 58 Abs. 3 S. 1 und 2 RVG).

 

Rz. 70

Der Pflichtverteidiger ist übrigens schlechter gestellt als der im Wege der PKH beigeordnete RA, der Zahlungen des Mandanten nach § 58 Abs. 2 RVG zunächst auf die "weitere Vergütung" anzurechnen hat (§ 50 RVG, siehe Rdn 29, 36). Dagegen muss der Pflichtverteidiger grundsätzlich Zahlungen des Beschuldigten nach § 58 Abs. 3 RVG auf alle Zahlungen der Staatskasse anrechnen.

 

Rz. 71

Diese gesetzliche Verpflichtung des RA wird in § 58 Abs. 3 S. 3 RVG insofern etwas eingeschränkt, als die Anrechnung oder Rückzahlung nur dann erfolgt, soweit der RA durch diese Zahlungen insgesamt mehr als den doppelten Betrag der ihm als Pflichtverteidiger zustehenden Gebühren erhalten würde. Es ist also erst dann anzurechnen, wenn die Vorschüsse und Zahlungen zusammen mit den Pflichtverteidigergebühren das Doppelte der Pflichtverteidigergebühren übersteigen. Dieses Doppelte ist Kontrollbetrag 1. Allerdings darf der Pflichtverteidiger insgesamt nicht mehr verdienen als die Höchstgebühren des jeweiligen Gebührenrahmens, die er als Wahlanwalt bekommen hätte (Kontrollbetrag 2; § 58 Abs. 3 S. 4 RVG); ein eventuell nach der Anrechnung noch übersteigender Betrag ist dann ebenfalls anzurechnen. Bei den Höchstgebühren handelt es sich um die im Vergütungsverzeichnis vorgesehenen Höchstgebühren – auch wenn bisher die Rechtsprechung dies teilweise anders gesehen hat. Diese nicht ganz unkomplizierte gesetzliche Regelung wird nun im Folgenden erläutert.

 

Beispiel:

RA Weinlich wurde dem Angeklagten Schulze nach Erhebung der Anklage zur Verteidigung vor der großen Strafkammer beigeordnet. RA Weinlich hat von der Ehefrau des Angeklagten eine freiwillige Vorschusszahlung in Höhe von 621,00 EUR erhalten. Danach hat er die im Folgenden berechnete Vergütung aus der Staatskasse erhalten. Die Hauptverhandlung dauert vier Stunden. Es wurden 50 Fotokopien aus der Ermittlungsakte gefertigt, die RA Weinlich über sein Gerichtsfach erhalten hat. Schulze wird verurteilt.

Berechnung der Vergütung (als Pflichtverteidiger):

 
  Grundgebühr gem. § 2 Abs. 2 RVG, Nr. 4100 VV RVG 176,00 EUR
 

Verfahrensgebühr für den ersten Rechtszug vor der Strafkammer

gem. § 2 Abs. 2 RVG, Nr. 4112 VV RVG
163,00 EUR
 

Terminsgebühr für den ersten Rechtszug vor der Strafkammer

gem. § 2 Abs. 2 RVG, Nr. 4114 VV RVG
282,00 EUR
  = Gebühren des Pflichtverteidigers insgesamt 621,00 EUR
20 %

Pauschale für Post- und Telekommunikationsentgelte

gem. § 2 Abs. 2 S. 1 RVG, Nr. 7002 VV RVG
20,00 EUR
 

Dokumentenpauschale gem. § 2 Abs. 2 S. 1 RVG, Nr. 7000 Ziff. 1

Lit. a) VV RVG (50 Kopien)
25,00 EUR
    666,00 EUR
19 % USt. gem. § 2 Abs. 2 S. 1 RVG, Nr. 7008 VV RVG 126,54 EUR
    792,54 EUR

Es stellt sich nun gemäß § 58 Abs. 3 S. 2 RVG die Frage, ob RA Weinlich einen Teil der freiwilligen Zahlung an die Staatskasse zurückzahlen muss oder ob diese Rückzahlung unterbleiben kann.

Gemäß § 58 Abs. 3 S. 3 RVG unterbleibt die Rückzahlung, wenn er durch sie insgesamt weniger als den doppelten Betrag der Pflichtverteidigergebühr erhalten würde. Der doppelte Betrag wäre hier 2 x 621,00 EUR = 1.242,00 EUR (Kontrollbetrag 1). Diesen Betrag darf er höchstens behalten; die Zahlung und die Pflichtverteidigergebühren zusammen betragen ebenfalls 1.242,00 EUR. Würde er von dem Vorschuss von 621,00 EUR auch nur 1 Cent (0,01 EUR) an die Staatskasse zurückzahlen, so würden ihm von dem Vorschuss nur 621,00 EUR – 0,01 EUR = 620,99 EUR verbleiben, also weniger als ihm zusteht. Eine Rückzahlung an die Staatskasse kann also unterbleiben.

Hätte allerdings die Zahlung der Ehefrau 625,00 EUR betragen, dann hätte der RA 4,00 EUR an die Staatskasse zurückzahlen müssen.

Die Staatskasse wird übrigens die an den RA gezahlte Pflichtverteidigervergütung von dem verurteilten Schulze zurück fordern. Der RA wird den erhaltenen Vorschuss eventuell teilweise erstatten müssen, wenn er einen Antrag nach § 52 Abs. 1 RVG gestellt hat – dann hat er Anspruch auf Wahlverteidigergebühren unter Beachtung des § 14 RVG.

 

Rz. 72

Nach folgendem Prüfungsschema lässt sich überprüfen ob Zahlungen an den Pflichtverteidiger gegenüber der Staatskasse anzurechnen sind:

 
     
  Prüfungsschema (Anrechnung von Zahlungen)  
1. Berechnung der Gebühren des Pflichtverteidigers
2. Berechnung des doppelten Betrages der Pflichtverteidigergebühren = Kontrollbetrag 1
3. Zusammenrechnung der Pflichtverteidigergebühren und der erhaltenen Zahlungen
4. Prüfung, ob die unter 3. berechnete Summe das Doppelte der Pflichtverteidigergebühren aus 2. übersteigt (§ 58 Abs. 3 S. 3 RVG) – dies ergibt den Anrechnungsbetrag
5. Berec...

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