Dipl.-Kfm. Michael Scherer
Rz. 58
Jeder Beschuldigte, dem eine Straftat zur Last gelegt wird, hat das Recht auf einen Verteidiger, den er sich selbst auswählen darf. Grundsätzlich darf er sich auch selbst verteidigen.
In schwerwiegenden Fällen muss er einen Verteidiger haben. In § 140 StPO sind die Fälle aufgeführt, in denen die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig, d. h. gesetzlich vorgeschrieben ist. Die so genannte notwendige Verteidigung ist z. B. dann gegeben, wenn:
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die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor einem höheren Gericht als dem Amtsgericht stattfindet, |
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dem Beschuldigten ein Verbrechen zur Last gelegt wird, |
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das Verfahren zu einem Berufsverbot oder zu einer Unterbringung in einer Heil- und Pflegeanstalt führen kann, |
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der Beschuldigte sich zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung seit mindestens drei Monaten in Untersuchungshaft befindet. |
Rz. 59
Auch in diesen Fällen darf sich der Beschuldigte seinen Verteidiger frei wählen. Hat er sich jedoch keinen Verteidiger gewählt, so muss ihm das Gericht einen Pflichtverteidiger bestellen. Im Jugendgerichtsgesetz (§ 68 JGG) sind noch weitere Fälle der notwendigen Verteidigung aufgeführt.
In anderen Fällen wird dem Beschuldigten auf seinen Antrag oder von Amts wegen, wenn es wegen der Schwere der Tat oder wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage notwendig ist, oder wenn ersichtlich ist, dass der Beschuldigte sich nicht selbst verteidigen kann, ein Pflichtverteidiger bestellt (§ 141 StPO).
Wird ein RA zum Pflichtverteidiger bestellt, ohne dass die Bestellung eingeschränkt wird, gilt die Bestellung nicht nur für die betreffende Instanz, sondern auch für das Berufungsverfahren und für die Einlegung der Revision und ihre Begründung. Für die Hauptverhandlung im Revisionsverfahren muss der RA jedoch ausdrücklich bestellt werden (§ 350 Abs. 3 StPO).
War der RA schon vor seiner gerichtlichen Bestellung im Vorverfahren tätig, so erhält er auch dafür eine Vergütung aus der Staatskasse (§ 48 Abs. 5 RVG).
I. Die Gebühren des Pflichtverteidigers
Rz. 60
Gebühren erhält der Pflichtverteidiger grundsätzlich für dieselben Tätigkeiten wie der Wahlverteidiger, jedoch ist seine Vergütung niedriger; sie beträgt circa 80 % der jeweiligen Mittelgebühr für den Wahlanwalt. Die Gebühren sind Festgebühren und werden im Vergütungsverzeichnis zu jeder Gebühr in der rechten Randspalte ausgewiesen. Es gelten also alle vorstehenden Erläuterungen zu den einzelnen Gebühren auch für die Gebühren des Pflichtverteidigers, nur dass die Gebühren geringer sind.
Für die Terminsgebühr des Pflichtverteidigers gibt es allerdings die Besonderheit, dass er im gerichtlichen Verfahren für eine Hauptverhandlungsdauer von mehr als 5 Stunden oder mehr als 8 Stunden Zusatzgebühren erhält, so z. B. in den Nrn. 4110, 4111, 4116, 4117 VV RVG und anderen. Die Zusatzgebühr kommt zu der "normalen" Terminsgebühr hinzu. Da er Festgebühren erhält und keine Rahmengebühren, gibt es sonst keine andere Möglichkeit, eine längere Verhandlungsdauer zu berücksichtigen.
Hinweis:
Bisher war in der obergerichtlichen Rechtsprechung sehr umstritten. ob für Pflichtverteidiger Mittagspausen in Abzug zu bringen sind – und falls ja, ob dies auch für kürzere Pausen gilt. Durch Vorbemerkung 4.1 Abs. 3 VV RVG ist dies nun geregelt: Pausen zählen grundsätzlich bei der Dauer der Hauptverhandlung mit, außer wenn eine einzelne Pause (z. B. Mittagspause) angeordnet wurde, die länger als eine Stunde dauern soll. Es kommt hierbei auf die gerichtliche Anordnung an und nicht darauf, wie lange die Pause dann tatsächlich dauert. Ferner darf der RA die Pause nicht zu vertreten haben; dies wäre z. B. dann der Fall, wenn er eine Unterbrechung beantragt, um sich mit seinem Mandaten zu beraten.
Rz. 61
Da der Verteidiger vom Gericht bestellt worden ist, erhält er seine Vergütung aus der Staatskasse gemäß § 45 Abs. 3 RVG. Auf entsprechenden Antrag erhält er auch die notwendigen Auslagen (Nrn. 7000 ff. VV RVG) gemäß § 46 RVG aus der Staatskasse erstattet. Er hat Anspruch auf Vorschuss aus der Staatskasse (§ 47 RVG).
Bei Reisekosten des Pflichtverteidigers sollte zur Absicherung des RA das Gericht deren Notwendigkeit aufgrund eines Antrages vor Antritt der Reise feststellen (§ 46 RVG), da dann im Festsetzungsverfahren die Reise als notwendig anerkannt werden muss.
II. Wahlverteidigergebühren für den Pflichtverteidiger
Rz. 62
Wenn die Verteidigung des Angeklagten im Sinne des § 140 StPO oder des § 68 JGG eine notwendige ist, dann wird ihm ein Pflichtverteidiger beigeordnet. Dies geschieht ohne eine Prüfung, ob der Angeklagte zahlungsfähig ist oder nicht, da der Zweck der Beiordnung im Strafprozess ein anderer ist als im Zivilprozess. Im Zivilprozess erhält die "arme" Partei einen RA zur Geltendmachung ihrer Ansprüche beigeordnet. Im Strafprozess erfolgt die Beiordnung eines Verteidigers im Interesse des geordneten Ablaufs des Verfahrens, der Wahrheitsfindung und der Herbeiführung eines gerechten Urteils. Deshalb ist es sogar möglich, dass dem Angeklagten gegen seinen Willen ein Pflichtverteidiger bestellt wird.
Rz. 63
Zwischen dem Pflichtverteidiger und dem Beschuldigten g...