Rz. 2
Die Ehegattenvertretung ist für Situationen insbesondere im Krankenhaus oder am Lebensende in einer Krankheits- oder Pflegesituation gedacht, bei denen ein Betreuungsverfahren als Formalismus angesehen werden kann. Es werden Entscheidungen des nicht getrenntlebenden Ehegatten in Gesundheitsangelegenheiten sowie damit zusammenhängenden, zivilrechtlichen Fragen ermöglicht. Patientenverfügungen, Vorsorgevollmachten oder Betreuungen gehen vor und die Vertretung ist nur für einen Zeitraum von höchstens sechs Monaten zulässig. Ein im ZVR einzutragender, vorsorglicher Widerspruch ist möglich. Ärzte sind dann von ihrer Schweigepflicht befreit. Sie haben das Vorliegen der Voraussetzungen des § 1358 BGB n.F. zu ermitteln und zu dokumentieren.
I. Ziele und Kritik
Rz. 3
Die – vollmachtslose – Vertretungsmöglichkeit eines Ehegatten für den anderen wird für einen eng gestecktem Rahmen beim Vorliegen bestimmter Voraussetzungen und bei Einhaltung eines festgelegten Verfahrens kommen. Es ist wohl die tiefgreifendste und zugleich umstrittenste, rechtliche Änderung im gesamten Reformpaket.
1. Ziele
Rz. 4
Durch diese Regelung können Abläufe entbürokratisiert und beschleunigt werden, da das Betreuungsgericht nicht eingeschaltet werden muss und das gesamte Verfahren zur Betreuungseinrichtung entbehrlich wird, selbst wenn keine Vorsorgevollmacht vorliegt. Zudem entspricht es einer in der Bevölkerung weit verbreiteten Annahme, dass ein Vertretungsrecht unter Ehegatten besteht. Mit einer solchen Gesetzesänderung wird wohl zumindest auf den ersten Blick einem Rechtsempfinden in der Bevölkerung entsprochen.
Rz. 5
Zudem erscheint es realistisch, dass einige Kosten gespart werden (siehe Rdn 14). Schließlich verursacht jedes Betreuungsverfahren durch die Befassung von Richtern, Rechtspflegern sowie ggf. Verfahrenspflegern und sachverständigen Ärzten Kosten. Diese werden für die erfassten Fälle weitgehend entfallen, wie auch eine persönliche Belastung durch ein Betreuungsverfahren. Die auf der anderen Seite bei Ärzten und Krankenhäusern für die Durchführung des notwendigen Verfahrens entstehenden Kosten dürften in der Summe geringer sein; zudem muss ihnen die Ersparnis auf ärztlicher Seite durch den Wegfall des Betreuungsverfahrens entgegengestellt werden. Schwer zu prognostizieren ist, welche Kosten aus den durch das neue Verfahren eventuell hervorgerufenen Konflikten resultieren werden.
2. Kritik
Rz. 6
In den meisten Stellungnahmen von Verbänden wurde die Regelung trotzdem abgelehnt, wie auch in der juristischen Literatur und sogar in der Facharbeitsgruppe 3 beim BMJV. Das Motiv der Kostenreduzierung wird als leitend angenommen. Aus den Kreisen der Ärzteschaft scheint eher Zustimmung zu kommen mit Kritik im Detail, insbesondere am Verwaltungsaufwand.
Rz. 7
Es liegt nahe, dass in Zukunft über den Anwendungsbereich des § 1358 BGB n.F. hinaus standardmäßig eine Vertretungsmacht des Ehegatten angenommen werden wird. Es ist also zu befürchten, dass Ärzte (wie immer wieder schon jetzt) einfach mit dem gesunden Ehegatten sprechen und Entscheidungen treffen und die Kommunikation mit einen einwilligungsfähigen, aber krankheitsbedingt eingeschränkten, betroffenen Ehegatten auch aus Zeitgründen vermeiden. Dies würde das Vorhaben "konterkarieren", die sonst in der Reform hervorgehobene Selbstbestimmung zu stärken.
Rz. 8
Die Ehegattenvertretung wird nach hier vertretener Ansicht sowohl in ihrer Umsetzung als auch als Signal zur Entbehrlichkeit der Vorsorgevollmacht (und auch der Patientenverfügung "Mein Ehegatte macht das schon.") für die Selbstbestimmung kontraproduktiv sein. Es werden (fälschlicherweise) Vorsorgevollmachten in der Bevölkerung wieder als weniger wichtiger angesehen und seltener errichtet werden.
Rz. 9
Dem Rechtsinstitut der Ehe wird für Millionen von Fällen nachträglich eine Bedeutung gegeben, die sie beim Eingehen nicht hatte. Jetzt schon einwilligungsunfähige, verheiratete Menschen werden auch nicht mehr widersprechen können. Es erscheint verfassungsrechtlich fraglich, ob dies zulässig ist und die Regelung nicht nur für neue Ehen gelten dürfte – was sie wiederum deutlich entwerten würde. Aber auch noch einwilligungsfähige Ehegatten werden sich aus Angst vor einer Belastung der Beziehung sehr schwertun, ihrem Ehegatten dieses Vertretungsrecht zu nehmen, auch wenn sie es eigentlich möchten.
Rz. 10
Es gab schon früher Überlegungen und Vorschläge für eine gesetzliche Ehegattenvertretung. Die jetzt vorgeschlagene, konkrete Regelung lässt viel Mühe und Arbeit in den Formulierungen erkennen. Sie zeigt aber im Wesentlichen, dass eine solche Regelung nur als kompliziertes und damit fehleranfälliges "Regelungsmonstrum" konstruiert werden kann. Es werden viele Voraussetzungen aufgestellt und es wird versucht, Sicherungsmittel zu implementieren. Es ist mehr als zweifelhaft, dass diese in der Praxis – in der es um schnelle Entscheidungen im hektischen und l...