A. Überblick
Rz. 1
Voraussetzungen, materiell:
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(weiter) bestehende Unfähigkeit bei einem Ehegatten zur Besorgung der Angelegenheiten aufgrund von Krankheit oder Bewusstlosigkeit sowie |
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kein Getrenntleben der Ehegatten sowie |
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keine bekannte Ablehnung durch den vertretenen Ehegatten sowie |
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keine ausreichende Betreuung sowie |
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keine ausreichende Vorsorgebevollmächtigung sowie |
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nicht über sechs Monate seit der Unfähigkeit vergangen sowie |
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keine Dauer von freiheitsentziehenden Maßnahmen von mehr als sechs Wochen |
Voraussetzungen, formal:
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ärztliche Feststellung der Unfähigkeit bei einem Ehegatten zur Besorgung der Angelegenheiten aufgrund von Krankheit oder Bewusstlosigkeit |
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schriftliche Zusicherung des vertretenden Ehegatten an den Arzt, dass bislang keine Ausübung eines Ehegattenvertretungsrechts erfolgte und keine Ausschlussgründe vorliegen (Getrenntleben, keine Ablehnung, keine Vorsorgebevollmächtigung oder Betreuung) |
Rechtsfolgen:
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Vertretungsrecht des anderen Ehegatten in Gesundheitsangelegenheiten, einschließlich zivilrechtlicher Verträge und Kostenübernahmen |
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Entscheidungsbefugnis des anderen Ehegatten über freiheitsentziehenden Maßnahmen von bis zu sechs Wochen |
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Bindung an Wünsche und Patientenverfügung des vertretenen Ehegatten |
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Genehmigungsbedürfnisse wie bei einem Betreuer |
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Vertretungsrecht des anderen Ehegatten zivilrechtlich bei eilbedürftiger Rehabilitation und Pflege |
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Schweigepflichtentbindung des Arztes auch schon vor der Feststellung |
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keine Einrichtung einer Betreuung |
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schriftliche Bestätigung des Arztes für den vertretenden Ehegatten über die Befugnis |
B. Einleitung
Rz. 2
Die Ehegattenvertretung ist für Situationen insbesondere im Krankenhaus oder am Lebensende in einer Krankheits- oder Pflegesituation gedacht, bei denen ein Betreuungsverfahren als Formalismus angesehen werden kann. Es werden Entscheidungen des nicht getrenntlebenden Ehegatten in Gesundheitsangelegenheiten sowie damit zusammenhängenden, zivilrechtlichen Fragen ermöglicht. Patientenverfügungen, Vorsorgevollmachten oder Betreuungen gehen vor und die Vertretung ist nur für einen Zeitraum von höchstens sechs Monaten zulässig. Ein im ZVR einzutragender, vorsorglicher Widerspruch ist möglich. Ärzte sind dann von ihrer Schweigepflicht befreit. Sie haben das Vorliegen der Voraussetzungen des § 1358 BGB n.F. zu ermitteln und zu dokumentieren.
I. Ziele und Kritik
Rz. 3
Die – vollmachtslose – Vertretungsmöglichkeit eines Ehegatten für den anderen wird für einen eng gestecktem Rahmen beim Vorliegen bestimmter Voraussetzungen und bei Einhaltung eines festgelegten Verfahrens kommen. Es ist wohl die tiefgreifendste und zugleich umstrittenste, rechtliche Änderung im gesamten Reformpaket.
1. Ziele
Rz. 4
Durch diese Regelung können Abläufe entbürokratisiert und beschleunigt werden, da das Betreuungsgericht nicht eingeschaltet werden muss und das gesamte Verfahren zur Betreuungseinrichtung entbehrlich wird, selbst wenn keine Vorsorgevollmacht vorliegt. Zudem entspricht es einer in der Bevölkerung weit verbreiteten Annahme, dass ein Vertretungsrecht unter Ehegatten besteht. Mit einer solchen Gesetzesänderung wird wohl zumindest auf den ersten Blick einem Rechtsempfinden in der Bevölkerung entsprochen.
Rz. 5
Zudem erscheint es realistisch, dass einige Kosten gespart werden (siehe Rdn 14). Schließlich verursacht jedes Betreuungsverfahren durch die Befassung von Richtern, Rechtspflegern sowie ggf. Verfahrenspflegern und sachverständigen Ärzten Kosten. Diese werden für die erfassten Fälle weitgehend entfallen, wie auch eine persönliche Belastung durch ein Betreuungsverfahren. Die auf der anderen Seite bei Ärzten und Krankenhäusern für die Durchführung des notwendigen Verfahrens entstehenden Kosten dürften in der Summe geringer sein; zudem muss ihnen die Ersparnis auf ärztlicher Seite durch den Wegfall des Betreuungsverfahrens entgegengestellt werden. Schwer zu prognostizieren ist, welche Kosten aus den durch das neue Verfahren eventuell hervorgerufenen Konflikten resultieren werden.
2. Kritik
Rz. 6
In den meisten Stellungnahmen von Verbänden wurde die Regelung trotzdem abgelehnt, wie auch in der juristischen Literatur und sogar in der Facharbeitsgruppe 3 beim BMJV. Das Motiv der Kostenreduzierung wird als leitend angenommen. Aus den Kreisen der Ärzteschaft scheint eher Zustimmung zu kommen mit Kritik im Detail, insbesondere am Verwaltungsaufwand.
Rz. 7
Es liegt nahe, dass in Zukunft über den Anwendungsbereich des § 1358 BGB n.F. hinaus standardmäßig eine Vertretungsmacht des Ehegatten angenommen werden wird. Es ist also zu befürchten, dass Ärzte (wie immer wieder schon jetzt) einfach mit dem gesunden Ehegatten sprechen und Entscheidungen treffen und die Kommunikation mit einen einwilligungsfähigen, aber krankheitsbedingt eingeschränkten, betroffenen Ehegatten auch aus Zeitgründen vermeiden. Dies würde das Vorhaben "konterkarieren", die sonst in der Reform hervorgehobene Selbstbestimmung zu stärken.