Rz. 155
Die Störung der Geistestätigkeit gilt als Ausnahme, der Erblasser gilt deshalb so lange als geschäftsfähig, solange nicht das Gegenteil bewiesen ist.
Rz. 156
Das heißt: Die Alleinerbin hat die volle Beweislast für die behauptete Geschäftsunfähigkeit. War der Erblasser vor und nach Vertragsschluss geschäftsunfähig, so spricht der Beweis des ersten Anscheins für seine Geschäftsunfähigkeit. Wer sich darauf beruft, der Erblasser habe den Vertrag während eines "lucidum intervallum" geschlossen, trägt dafür die Beweislast. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass auch im Zivilprozess trotz des dort herrschenden Beibringungsgrundsatzes ein Sachverständigengutachten von Amts wegen eingeholt werden kann, also ohne Antrag der beweispflichtigen Partei, §§ 144, 403, 442, 358a ZPO. Insofern nähert sich der Zivilprozess bei entsprechendem Sachvortrag der Parteien dem Amtsermittlungsgrundsatz des Erbscheinsverfahrens (dort § 26 FamFG). Es steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, ob es nach § 144 Abs. 1 S. 1 ZPO ein Sachverständigengutachten ohne Antrag des Beweispflichtigen von Amts wegen einholt; dies befreit die Partei jedoch nicht von ihrer Darlegungs- und Beweislast. Die Anwendung der Beweislastregeln zur Streitentscheidung stellt eine ultima ratio dar, die erst dann zum Tragen kommt, wenn und soweit das Gericht alle zulässigen Beweismöglichkeiten ohne Erfolg ausgeschöpft hat und weitere Feststellungen nicht mehr möglich erscheinen.
Rz. 157
Der Beweis der Geschäftsunfähigkeit könnte geführt werden durch die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens. Zur Feststellung der Geschäftsunfähigkeit im Prozess ist nach sorgfältiger Ermittlung des medizinischen Befundes ein nervenfachärztliches Sachverständigengutachten erforderlich (sog. Nervenarzt-Vorbehalt). Ein Gutachten durch den Hausarzt, der nicht Nervenfacharzt ist, sondern Allgemeinarzt, reicht dafür nicht aus. Der behandelnde Hausarzt wäre sachverständiger Zeuge, § 414 ZPO (zu seiner Verschwiegenheitspflicht siehe Rdn 160).
Rz. 158
Da der Kaufvertrag (samt Auflassung) notariell beurkundet wurde, könnten die Feststellungen des Notars über die Geschäftsfähigkeit des Erblassers bei der Beweisführung von Bedeutung sein (§ 11 BeurkG). Allerdings ist ohne Vorlage der Kaufvertragsurkunde nicht festzustellen, ob der Notar in die Urkunde seine Wahrnehmungen zur Geschäftsfähigkeit aufgenommen hat.
Selbst wenn sie enthalten sind, so sind sie kein Beweis (für die festgestellte Geschäftsfähigkeit), weil der Notar kein medizinischer Sachverständiger ist, sondern medizinischer Laie. Aber bei der Überzeugungsbildung des Gerichts (§ 286 ZPO) können die Wahrnehmungen des Notars von Bedeutung sein. Der Notar kann deshalb als Zeuge vernommen werden (zu seiner Verschwiegenheitspflicht siehe Rdn 159).
Rz. 159
Vgl. auch die lesenswerte Entscheidung des OLG Frankfurt zur nachträglichen Feststellung der Geschäftsunfähigkeit einer Betroffenen, der knapp drei Monate nach dem maßgeblichen Rechtsgeschäft (Grundstücksveräußerung) ein Betreuer u.a. für ihre Vermögensangelegenheiten bestellt wurde, mit der Anmerkung von Günther. Der BGH hat die gegen dieses Urteil eingelegte Revision nicht angenommen.