Rz. 80
Nicht testierfähig sind Personen, die infolge Störung der Geistestätigkeit, Geistesschwäche oder Bewusstseinsstörungen nicht in der Lage sind, die Bedeutung einer von ihnen abgegebenen Erklärung zu erkennen, § 2229 Abs. 4 BGB. Die Testierunfähigkeit ist ein Unterfall der Geschäftsunfähigkeit. Für die Testierfähigkeit muss sich der Erblasser neben den allgemeinen Vorstellungen über die Errichtung einer Verfügung von Todes wegen auch über die Tragweite und die Auswirkungen auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen im Klaren sein.
Rz. 81
Schwierig sind Fälle der altersbedingten Einschränkung bzw. des altersbedingten Wegfalls der Testierfähigkeit, weil hier häufig keine eindeutigen medizinischen Diagnosen möglich sind. Alters- oder krankheitsbedingte Demenz sind oft langwierige Krankheitsentwicklungen, deren Progredienz sehr unterschiedlich verläuft (Morbus Alzheimer, Cerebralsklerose).
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat eine Klassifikation von Krankheiten u.Ä. mittels einer Klassifikationsliste vorgenommen:
Medizinische Klassifikationsliste: Die ICD-10 (ICD = International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) ist die 10. Version der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme. Sie beinhaltet Codes für Krankheiten, Anzeichen und Symptome, auffällige Befunde, Beschwerden, soziale Umstände und äußere Ursachen von Verletzungen oder Krankheiten. Die ICD-10 wurde am 1.1.2022 durch die ICD-11 ersetzt. Über den konkreten Zeitpunkt einer Einführung der ICD-11 in den klinischen Alltag in Deutschland sind jedoch noch keine Aussagen möglich. Sie wird wohl erst in fünf Jahren angewandt. Bis dahin wird mit ICD-10 gearbeitet.
Hierzu das OLG München:
Zitat
"Ein Erblasser ist testierunfähig, wenn er unter Zugrundelegung der Leitlinien der ICD-10 an einer chronischen paranoiden Schizophrenie leidet. Danach muss aus der Symptomgruppe 1 eines von vier Merkmalen erfüllt sein. Testierunfähigkeit ist jedenfalls gegeben, wenn drei Merkmale erfüllt sind, nämlich Gedankeneingebung (Merkmal 1a), Gefühl des Gemachten bzw. Wahnwahrnehmung (Merkmal 1b) und anhaltender, kulturell unangemessener oder völlig unrealistischer (bizarrer) Wahn (Merkmal 1d)."
Rz. 82
Die Wirksamkeit eines gemeinschaftlichen Testaments setzt Testierfähigkeit beider Ehegatten voraus. Ist einer der Ehegatten testierunfähig, so kann eine Bindungswirkung nach § 2270 Abs. 1 i.V.m. § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB nicht eintreten. Inwieweit die Verfügung des anderen Ehegatten als Einzeltestament aufrechterhalten werden kann, ist durch Auslegung zu ermitteln. Entsprechendes gilt für registrierte Lebenspartner, § 10 LPartG.
Rz. 83
Bei einer notariell beurkundeten Verfügung von Todes wegen dürfte in aller Regel der beweispflichtigen Partei die Vorschrift des § 28 BeurkG zu Hilfe kommen. Danach hat der Notar Feststellungen zur Geschäfts- bzw. Testierfähigkeit zu treffen. Diese Feststellungen des Notars können im Rahmen der Beweiswürdigung verwertet werden.
Nach der Rechtsprechung des BayObLG haben solche Feststellungen lediglich Indizwirkung. Das Kammergericht misst den Feststellungen des Notars zur Geschäfts- und Testierfähigkeit in der späteren Beweiswürdigung besonderes Gewicht bei.