Rz. 46
Vornehmlich den Hinterbliebenen eines tödlich Verunfallten, also den nahen Angehörigen – nur Eltern, Kinder, Geschwister, Ehegatten und Verlobte sowie nichteheliche Lebensgefährten (LG Frankfurt NJW 1969, 2286); nicht unbedingt jedoch Freundin und Begleiterin eines Getöteten (LG Stuttgart VersR 1973, 648) – wird unter den nachgenannten Voraussetzungen ein eigener Schmerzensgeldanspruch zugestanden (siehe Rdn 32, 35). Es handelt sich in solchen Fällen um einen eigenen konkreten Gesundheitsschaden, der nach höchstrichterlicher Rechtsprechung aufgrund eines unmittelbaren Eingriffs in die Gesundheit trotz der Fernwirkung keinen mittelbaren Schaden im eigentlichen Sinne darstellt (Grundsatzentscheidung des BGH zu Schockschäden v. 11.5.1971, VersR 1971, 905; insoweit auch herrschende Literaturauffassung, vgl. auch Rdn 57 ff.).
Rz. 47
Zudem kann unter Umständen auch völlig fremden Personen ein ersatzfähiger Schockschaden zustehen (OLG Hamm NZV 1998, 328). Dies ist bei unmittelbarer Beteiligung an einem besonders schweren Unfall und dadurch erlittenen nachweisbaren Gesundheitsschäden der Fall (vgl. Oetker, in: MüKo, BGB, § 249 Rn 146).
aa) Voraussetzungen
Rz. 48
Die Rechtsprechung hält die Ersatzfähigkeit derartiger Schäden unter folgenden Voraussetzungen für gerechtfertigt:
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Zunächst ist erforderlich, dass die seelische Erschütterung, die aufgrund der Nachricht vom Tode eines Angehörigen vorliegt, über die regelmäßig bei der Todesnachricht auftretenden Gefühlsreaktionen wie Schmerz, Trauer, Niedergeschlagenheit, Angst und Schrecken als vorübergehende gesundheitliche Störungen hinausgeht (BGH VersR 1989, 583; KG NZV 2002, 38). Die üblichen Beeinträchtigungen, die jedermann bei dem Erhalt einer Todesnachricht erleidet, können nicht als "Gesundheitsbeschädigung" bezeichnet werden, weil sie nach Art und Schwere nicht den Rahmen des allgemeinen Lebensrisikos überschreiten (so auch OLG Köln VersR 1982, 558). |
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Vielmehr muss es sich um eine nachhaltige traumatische Schädigung der physischen oder psychischen Gesundheit von nicht nur vorübergehender Dauer handeln, welche pathologisch konstatierbar ist (BGH v. 10.2.2015 – VI ZR 8/14 – zfs 2015, 435; OLG Hamm NZV 2002, 234), deutlich von der Norm abweicht und deshalb Krankheitswert im Rahmen der allgemeinen Verkehrsanschauung besitzt (BGH VersR 1989, 854; OLG Düsseldorf zfs 1996, 176; OLG Nürnberg DAR 1995, 447). |
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Für den Nachweis eines solchen Gesundheitsschadens ist stets ein ärztliches Gutachten – ggf. eines Facharztes für Psychiatrie – erforderlich, das sich besonders mit der Frage des Krankheitswerts auseinandersetzen muss. |
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Ferner muss die gesundheitsbeschädigende Schockreaktion nachvollziehbar sein, sodass Überempfindlichkeiten insoweit nicht dem Schädiger angelastet werden können. |
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Dementsprechend ist beispielsweise die Nachricht von einer leichten Beschädigung des Fahrzeugs (LG Hildesheim VersR 1970, 720), der Tod des eigenen Hundes (BGH zfs 2012, 376) oder die Besorgnis aufgrund polizeilicher Ermittlungen gegen nahe Angehörige (LG Hamburg NJW 1969, 615; kritisch: Deubner, JuS 1969, 561) nicht ausreichend. |
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Bei der Beurteilung der Frage, ob tatsächlich ein entschädigungspflichtiger Schockschaden vorliegt, kommt dem Umstand maßgebliche Bedeutung zu, ob die Beeinträchtigungen auf die direkte Beteiligung des "Schockgeschädigten" an dem Unfall oder das Miterleben des Unfalls zurückzuführen oder ob sie ("nur") durch den Erhalt einer Unfallnachricht ausgelöst worden sind (BGH v. 27.1.2015 – VI ZR 548/12 – zfs 2015, 382; BGH v. 10.2.2015 – VI ZR 8/14 – zfs 2015, 435). |
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Eine Ersatzpflicht kommt selbst dann in Betracht, wenn bei der Entwicklung eines posttraumatischen Belastungssyndroms weitere angebotene Therapiemöglichkeiten nicht wahrgenommen werden, solange nicht von einer Begehrensneurose auszugehen ist und kein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht vorliegt (BGH v. 10.2.2015 – VI ZR 8/14 – zfs 2015, 435). |
bb) Höhe des Schmerzensgeldes
Rz. 49
Die Höhe des in den letzten Jahren von der Rechtsprechung zugestandenen Schmerzensgeldes bewegt sich selbst bei gravierendsten Reaktionen von Angehörigen fast ausschließlich im Rahmen von 2.500 EUR bis maximal 12.500 EUR (OLG Nürnberg OLGR 1998, 199; vgl. die Nachweise bei Hacks/Wellner/Häcker, SchmerzensgeldBeträge, 30. Auflage 2012, S. 15 f., sowie Auflistung S. 41 unter "Nerven" Nr. 3a), in einem Ausnahmefall 40.000 DM bzw. 70.000 DM (OLG Nürnberg DAR 1995, 447) und wird ggf. für jeden Angehörigen entsprechend der Schwere seiner seelischen und körperlichen Beeinträchtigungen unterschiedlich bemessen (OLG Nürnberg DAR 1995, 447).