Leitsatz (amtlich)
Die Rechtsprechung zu Schmerzensgeldansprüchen in Fällen psychisch vermittelter Gesundheitsbeeinträchtigungen mit Krankheitswert bei der Verletzung oder Tötung von Angehörigen oder sonst nahestehenden Personen (sog. Schockschäden) ist nicht auf Fälle psychischer Gesundheitsbeeinträchtigungen im Zusammenhang mit der Verletzung oder Tötung von Tieren zu erstrecken.
Normenkette
BGB §§ 253, 823 Abs. 1; StVG § 7 Abs. 1, § 11 S. 2; StVG § 18 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 16. Zivilsenats des OLG Köln vom 16.3.2011 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Klägerin verlangt materiellen Schadensersatz und Schmerzensgeld im Zusammenhang mit der tödlichen Verletzung eines Hundes bei einem Verkehrsunfall.
Rz. 2
Am 24.10.2008 spazierte die Klägerin mit einer 14 Monate alten Labradorhündin auf einem Feldweg. Die Hündin war nicht angeleint. Der Beklagte, der mit einem Traktor von einer angrenzenden Straße in den Feldweg einfuhr, überrollte die Hündin, die dadurch so schwere Verletzungen erlitt, dass sie von einem Tierarzt eingeschläfert werden musste.
Rz. 3
Die Klägerin macht materiellen Schadensersatz wegen entstandener Tierarztkosten, Kosten für die Anschaffung eines Labrador-Welpens und außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten sowie einen Schmerzensgeldanspruch geltend mit der Begründung, sie habe durch das Erlebnis einen Schockschaden mit schweren Anpassungsstörungen und einer schweren depressiven Episode erlitten. Es sei zu einer pathologischen Dauerreaktion gekommen, welche medikamentös habe behandelt werden müssen und die Durchführung einer Langzeitbehandlung erfordert habe. Der Zustand habe über einen Zeitraum von mindestens vier Monaten angedauert und sei bis heute nicht ausgestanden.
Rz. 4
Das LG hat der Klage hinsichtlich der materiellen Schäden stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Auf die Berufung des Beklagten hat das OLG der Klage hinsichtlich der materiellen Schäden nur i.H.v. 50 % stattgegeben und den Beklagten in entsprechender Abänderung des erstinstanzlichen Urteils verurteilt, an die Klägerin 388 EUR nebst Zinsen zu zahlen sowie sie von außergerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten i.H.v. 83,54 EUR freizustellen. Die Berufung der Klägerin und die weitergehende Berufung des Beklagten hat es zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter, soweit das Berufungsgericht zu ihrem Nachteil erkannt hat.
Entscheidungsgründe
I.
Rz. 5
Das Berufungsgericht ist mit dem LG der Auffassung, dass ein Schmerzensgeld wegen eines Schockschadens nicht in Betracht kommt. Für die ersatzfähigen materiellen Schäden hafte der Beklagte als Fahrer des unfallbeteiligten Traktors nach § 18 StVG für den Unfall, bei dem der Hund der Klägerin so schwer verletzt worden sei, dass er anschließend habe eingeschläfert werden müssen. Der Beklagte habe weder nachgewiesen, dass der Unfall für ihn unabwendbar gewesen sei, noch dass ihn an dem Unfall kein Verschulden getroffen habe. Auf der anderen Seite müsse sich die Klägerin nach § 17 Abs. 1 und 4 StVG die Tiergefahr ihres frei laufenden Hundes i.S.d. § 833 BGB anrechnen lassen. Die Abwägung zwischen der Betriebsgefahr des Traktors mit Anhänger und der Tiergefahr des auf einem Feldweg frei laufenden Hundes rechtfertige unter den besonderen Umständen des Falles eine hälftige Schadensteilung.
II.
Rz. 6
Das Berufungsurteil hält revisionsrechtlicher Überprüfung stand.
Rz. 7
1. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis mit Recht einen auf Schmerzensgeld gerichteten Schadensersatzanspruch der Klägerin aus dem Gesichtspunkt eines - durch den Tod des Tieres psychisch vermittelten - sog. Schockschadens verneint.
Rz. 8
a) Ein solcher Schadensersatzanspruch aus §§ 7 Abs. 1, 11 Satz 2, 18 Abs. 1 StVG, §§ 823 Abs. 1, 253 BGB wäre zwar, obwohl die Klägerin einen Gesundheitsschaden nur mittelbar als (psychische) Folge des tödlichen (Verkehrs-)Unfalls ihrer Hündin erlitten haben will, ein eigener Schadensersatzanspruch wegen der Verletzung eines eigenen Rechtsguts (vgl. BGH, Urt. v. 11.5.1971 - VI ZR 78/70, BGHZ 56, 163, 168; v. 13.1.1976 - VI ZR 58/74, VersR 1976, 539, 540; v. 6.2.2007 - VI ZR 55/06, VersR 2007, 803 Rz. 10). Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats genügt jedoch nicht jede psychisch vermittelte Beeinträchtigung der körperlichen Befindlichkeit, um einen Schadensersatzanspruch eines dadurch nur "mittelbar" Geschädigten im Falle der Tötung oder schweren Verletzung eines Dritten auszulösen. Dies widerspräche der Intention des Gesetzgebers, die Deliktshaftung gerade in § 823 Abs. 1 BGB sowohl nach den Schutzgütern als auch den durch sie gesetzten Verhaltenspflichten auf klar umrissene Tatbestände zu beschränken (vgl. BGH, Urt. v. 11.5.1971 - VI ZR 78/70, a.a.O., S. 168 f.; v. 4.4.1989 - VI ZR 97/88, VersR 1989, 853, 854). Deshalb setzt die Zurechnung psychischer Beeinträchtigungen wie Trauer und Schmerz nicht nur eine - hier zugunsten der Klägerin revisionsrechtlich zu unterstellende pathologisch fassbare - Gesundheitsbeschädigung voraus, sondern auch eine besondere personale Beziehung des solcherart "mittelbar" Geschädigten zu einem schwer verletzten oder getöteten Menschen (vgl. BGH, Urt. v. 11.5.1971 - VI ZR 78/70, a.a.O., S. 170; v. 31.1.1984 - VI ZR 56/82, VersR 1984, 439; v. 12.11.1985 - VI ZR 103/84, VersR 1986, 240, 241; v. 4.4.1989 - VI ZR 97/88, a.a.O.; v. 13.1.1976 - VI ZR 58/74, a.a.O.; v. 6.2.2007 - VI ZR 55/06, Rz. 8, 10). Bei derartigen Schadensfällen dient die enge personale Verbundenheit dazu, den Kreis derer zu beschreiben, die den Integritätsverlust des Opfers als Beeinträchtigung der eigenen Integrität und nicht als "normales" Lebensrisiko der Teilnahme an den Ereignissen der Umwelt empfinden (vgl. BGH, Urt. v. 14.6.2005 - VI ZR 179/04, BGHZ 163, 209, 220 f.).
Rz. 9
b) Aus den vorgenannten, die Schadensersatzpflicht bei Schockschäden eng umgrenzenden Grundsätzen ergibt sich bereits, dass eine von der Revision geforderte Ausdehnung dieser Rechtsprechung auf psychisch vermittelte Gesundheitsbeeinträchtigungen bei der Verletzung oder Tötung von Tieren nicht in Betracht kommt (so auch zutreffend LG Bad Kreuznach, Jagdrechtliche Entscheidungen Bd. XIV, XI Nr. 128; KreisG Cottbus, NJW-RR 1994, 804, 805; AG Recklinghausen, ZfS 1989, 191 und AG Essen-Borbeck, JurBüro 1986, 1494; Oetker in MünchKomm/BGB, 5. Aufl., § 251 Rz. 55). Dem entspricht es, dass der Gesetzgeber keinen Anlass für einen besonderen Schmerzensgeldanspruch des Tierhalters gesehen hat; die Verletzung oder Tötung von Tieren sollte den von der Rechtsprechung anerkannten Fällen von Schockschäden mit Krankheitswert bei der Verletzung oder Tötung von Angehörigen oder sonst dem Betroffenen nahestehenden Menschen nicht gleichgestellt werden (vgl. BT-Drucks. 11/7369, 7).
Rz. 10
Derartige Beeinträchtigungen bei der Verletzung oder Tötung von Tieren, mögen sie auch als schwerwiegend empfunden werden und menschlich noch so verständlich erscheinen, gehören zum allgemeinen Lebensrisiko und vermögen damit Schmerzensgeldansprüche nicht zu begründen.
Rz. 11
2. Die Revision beanstandet schließlich ohne Erfolg die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verantwortungsbeiträge im Zusammenhang mit den geltend gemachten materiellen Schadensersatzansprüchen der Klägerin. Die Entscheidung über eine Haftungsverteilung im Rahmen des § 254 BGB oder des § 17 StVG ist grundsätzlich Sache des Tatrichters und im Revisionsverfahren nur darauf zu überprüfen, ob der Tatrichter alle in Betracht kommenden Umstände vollständig und richtig berücksichtigt und der Abwägung rechtlich zulässige Erwägungen zugrunde gelegt hat. Die Abwägung ist aufgrund aller festgestellten, d.h. unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, wenn sie sich auf den Unfall ausgewirkt haben; in erster Linie ist hierbei das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben (vgl. etwa BGH, Urt. v. 7.2.2012 - VI ZR 133/11, juris Rz. 5 m.w.N.).
Rz. 12
Einer Überprüfung nach diesen Grundsätzen hält das Berufungsurteil stand. Nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Berufungsgerichts sind gefahrerhöhende Umstände von beiden Seiten nicht bewiesen worden. Auf dieser Grundlage ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht in tatrichterlicher Würdigung unter den besonderen Umständen des Streitfalles unter Berücksichtigung der Tiergefahr des freilaufenden Hundes einerseits und der Betriebsgefahr des Traktors andererseits zu einer hälftigen Schadensteilung gelangt ist.
Fundstellen
Haufe-Index 2953436 |
BGHZ 2013, 34 |
NJW 2012, 1730 |
NJW 2012, 6 |
EBE/BGH 2012, 140 |
JR 2013, 77 |
JurBüro 2012, 444 |
DAR 2012, 251 |
DAR 2012, 310 |
JuS 2012, 841 |
MDR 2012, 642 |
NJ 2012, 299 |
NJ 2012, 7 |
NZV 2012, 327 |
NZV 2012, 4 |
VRS 2012, 30 |
VersR 2012, 634 |
ZfS 2012, 376 |
NJW-Spezial 2012, 266 |
RÜ 2012, 350 |
RdW 2012, 434 |
SVR 2012, 303 |
VRA 2012, 95 |
VRR 2012, 220 |
r+s 2012, 412 |
ACE-VERKEHRSJURIST 2012, 25 |
GreifRecht 2012, 4 |
LL 2012, 464 |
NRÜ 2012, 252 |
PAK 2012, 75 |